Eine Zukunft aus dem Nichts, aus ein paar Habseligkeiten, die einem einst reichen Mann, der so gern ein Großer sein wollte auf dem Hamburger Kiez - dem schönsten Fleckchen Erde, das ich bisher kennengelernt habe -, geblieben sind.
Am 27.5.1998 ist meine Mutter gestorben.
Sie hat sich das Leben genommen.
Zumindest hat sie es versucht. Genau wie ich, anderthalb Jahre später. Bei ihr hat es auf die ein oder andere Weise dann doch geklappt. Und ich sitze immer noch hier, habe Hunger, kein Geld und schreibe mein Leben auf.
Sie hat Schlaftabletten geschluckt. Abends. Allein zuhause in ihrem Haus in Krefeld. Sie hat alles geordnet vorher. Meine Mutter war ein Vorbild an Ordnung, Akkuratesse und Sauberkeit. Sie hat alle Unterlagen beschriftet, zusammengelegt, so dass ich problemlos alles finde. Ich wusste mit einem Griff genau, wofür die Unterlagen waren, die ich in der Hand hatte und was ich damit machen musste.
Sie musste oft geweint haben, als sie ihren Tod so sorgfältig vorbereitete.
Sie hatte die Rollläden geschlossen im ganzen Haus, es war Abend, als sie die Tabletten eingenommen hatte. Sie hatte wohl auch Wein dazu getrunken. Das hat der Arzt später festgestellt. Und dann alles ordentlich wieder abgewaschen.
So haben Nachbarn morgens das Haus vorgefunden, als sie sahen, dass um eine Zeit, als meine Mutter längst wach hätte sein müssen, die Rollläden noch geschlossen waren. Sie hatten geklopft, geklingelt. Meine Mutter war wohl wach geworden aus ihrem Dämmerzustand, hat gerufen, war zu schwach, sich aus dem Bett zu erheben. Hat es dann doch versucht und ist auf dem Boden liegen geblieben.
Nachbarn haben sie gehört, den Schlüssel ausgegraben, der säuberlich in Alupapier gewickelt in einem Butterdöschen lag, eingegraben im Garten unter einer Gehwegplatte, hinten an der Garage. Ein Versteck, auf das kein Einbrecher kommen konnte. Da lag er schon, so lange ich denken konnte. Für alle Fälle.
Ich habe ihn selbst ein paar Mal gebraucht, wenn ich mich ausgesperrt hatte, als ich noch zuhause wohnte, oder als ich einmal meinen Schlüssel verloren hatte. Er lag immer da. Auch jetzt.
Sie wurde mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht, der stellte schnell die Medikamenten-Überdosis fest.
Sie hatte wieder Krebs.
Schon früh waren ihr die Brust amputiert worden, erst die eine, später die andere.
Auch mein Vater war an Krebs gestorben.
Ganz früher mal, nach dem Krieg, war er Verkehrspolizist gewesen. Da hatten die Autos noch keine Katalysatoren. Niemand hat sich um so was gekümmert. Die ganzen Abgase musste er wohl täglich einatmen, dann hat er auch noch geraucht.
Nachbarn riefen mich an in Hamburg, Deine Mutter ist im Krankenhaus. So erfuhr ich es. Ich bin aber erst zwei Tage später hingefahren, wo ich sowieso frei hatte. Ich war ein gefühlloser, rücksichtsloser Sohn.
‚Kalt und hartherzig’, hatte meine Mutter das öfters mal –aber in einem anderen Zusammenhang- genannt. So war ich immer schon.
Heute bereue ich es.
Als ich sie zum letzten Male besuchte, im Krankenhaus in Krefeld, war sie anders als sonst. Komisch. Nachdenklich. Ich konnte da damals nicht rchtig bewerten. Sie erzählte von unseren gemeinsamen Urlauben: „...weisst du noch, als wir damals mit Papa an der ostsee waren? Auf Fehmarn? Als Papa die schönste sandburg gebaut hat, mit der grossen Meerjungfrau darauf, und wir den ersten Preis gewonnen haben?“ Ja, wusste ich noch, ich war damals fünf oder so, ich wusste es eigentlich auch nur, weil wir noch Fotos davon hatten.
„... und weisst du noch, als du damals eingeschult wurdest? Wir haben noch Fotos davon, schau sie dir nochmal an, mit Susanne und dir darauf. Susanne war immer schon ein hübsches Mädchen, sie hatte ganz lange schwarze Haare, zu langen Zöpfen geflochten. Weisst du das noch?“ Ja, wusste ich noch, ich war sechs, ich wusste es eigentlich auch nur, weil wir noch Fotos davon hatten.
„...und weisst du noch, damals, da warst du fünfzehn, das war so ein Jahr nachdem Papa gestorben war, da warst du einmal so bose mit mir, da bist du in den Keller gegangen und hast eine Axt herauf geholt und in dein Zimmer gestellt, weisst du das noch?“ Nein, weiss ich nicht mehr, da haben wir keine Fotos von, ausserdem war es ein Beil.
Meine Muter hatte in ihrem ganzen Leben nie wieder mit mir über diesen Vorfall gesprochen. Warum jetzt? Sie liess in meiner Gegenwart ihr ganzes Leben revue passieren, zumndest den Teil ihres Lebens, den ich miterlebt hatte. Ich konnte mit der Situation nichts anfangen, damals, heute weiss ich, dass sie mir vor ihrem Tode nocheinmal alles, was wir zusammen erebt haten, bewusst machen wollte. Mir war das alles sehr unangenehm. Auch wenn es mir an diesem Tag in dem Krankenhauszimmer in Krefeld nicht wirklich klar war, ahnte ich doch wahrscheinlich unterschwellig, dass ich an ihrem Totenbett sass.
Nach einiger Zeit ging ich, das Totenbett unbewusst (oder bewusst?) verdrängt. Ich verabschiedete mich mit Worten wie ‚...gute Besserung’, ‚...bis nächste Woche dann...’ oder so ähnlich. Ich weiss heute verdammt nochmal nicht mehr, ob ich damals geahnt oder gewusst hatte, dass ich sie nie mehr wieder sehen würde. Ich denke, dass ich es geahnt haben werde, aber nicht wahrhaben wollte.
Wie verabschiedet man sich denn von einem sterbenden Menschen? Wer sagt einem, wie das geht? Wer bringt einem das bei?
Am siebenundzwanzigsten Mai Neunzehnhundertneunundneunzig, kurz nach Muttertag, ist sie im Krankenhaus gestorben.
Ich hatte frei, in dieser Nacht. Ich war in Hamburg. War mit Susi unterwegs, Susi Brinkmann, wir kamen, glaube ich, gerade vom Essen.
Das Handy klingelte. Ich war kurz vor der Wohnung, der Bums-Fick-Chaos-WG mit Panja über dem "Girlie’s" auf dem Kiez. Es war zwei Uhr nachts.
"Städtische Krankenanstalten Krefeld, hier guten Abend."
Mir lief ein Schauer Über den Rücken.
"Herr M., sie müssten mal nach Krefeld kommen...."
Stille.
Ich: "Ehh, ja, was...!?"
"Es tut mir leid, -stocken- ... Ihre Mutter ist...-Pause- ... heute Nacht ... verstorben!"
Es war warm in dieser Nacht.
Ich saß mit Susi in meinem Zimmer in der WG.
Sie versuchte mich zu trösten. Es ging mir gar nicht so schlecht.
Ich hab es erst viel später realisiert.
Die Erbschaft
Was meine Mutter eigentlich zu vererben hatte, wusste ich nie genau, ich hatte auch keine Vorstellung davon.
Nach ihrem Tod hängte ich alle Spiegel in ihrem Haus in Krefeld ab. Das hatte ich irgendwo mal gesehen oder gelesen. Es soll den Sinn haben, dass der Geist des Toten sich nicht spiegelt und somit keine Ruhe findet. Ich weiss nicht, ob das auch so ist, wenn der Tote gar nicht in diesem Haus bestorben ist. Meine Muter war im Krankenhaus gestorben.
Bis zur Beerdigung muss man das machen. Silvia, meine verflossene Freundin aber imer noch beste Freun din, fand das auch eine sehr gute Idee. Und wenn Silvie das gut findet, ist es gut!
Ich wusste, wo die Papiere meiner Mutter aufbewahrt lagen und sah sie durch. Es kam mir fast vor wie Leichenfledderei. Aber ich musste es doch tun. Es musste weitergehen. Ich fand Sparbücher. Mit Beträgen darauf, von denen ich zu träumen nie gewagt hätte!
Meine Mutter war sparsam. Nicht geizig. Sparsam.
Sie sagte so oft:
„Ach, das kostet wieder einen Haufen Geld, ich weiß bald nicht mehr wo ich es hernehmen soll..!“
Ehrlich gesagt, ich dachte, dass meine Mutter mal gerade so über die Runden kam. Ja, wir hatten ein eigenes Haus in einer schönen Gegend, sie hatte ein Auto, schöne Anziehsachen, die sie zumeist selber schneiderte. Es schien zu klappen, nur, dass viel übrig blieb, dachte ich nicht.
Ich ging zur Sparkasse in Krefeld-Stahldorf, wo unsere Familie schon seit ich denken kann ein Konto hatte.
‚Ja, auflösen und überweisen auf mein Konto in Hamburg, nein, ich komme nicht wieder nach Krefeld, ja, das Haus werde ich verkaufen’.
„Ja,“ sagte der Filialleiter, der mich und meine Geldgeschichten aus langer Erfahrung kannte, „sehr traurig, das mit Ihrer Frau Mutter! Seien sie vorsichtig mit dem Geld, sie wissen, dass sie nicht so ein sparsamer Mensch sind wie Ihre Frau Mutter!“ Er verschwand nach hinten in einen Büroraum und kam mit einer Akte zurück. Er knallte einen Stempel „Aufgelöst“ darauf und öffnete sie.
„Sie wissen, dass Ihre Frau Mutter ein ansehnliches Wertpapierdepot hatte, nicht wahr?“
Ein - was??
War das noch nicht alles, die vielen Sparbücher mit den zumeist fünfstelligen Summen darauf??
Als er mir die Rechnung aufmachte, viel ich fast hinten über.
Meine Mutter hatte mir ein Vermögen hinterlassen!
Zunächst dachte ich noch darüber nach, das Haus nur zu vermieten, aber ich wollte doch nun etwas erreichen! Mit eigenem Geld! Ich würde es gut investieren und anlegen, sodass es sich schön vermehrt. Arbeiten würde ich ab jetzt natürlich nicht mehr! Das Geld würde fortan für mich arbeiten. Endlich Geld. Nie mehr klamm. Alle Rechnungen sofort bezahlen können. Und leben können. L E B E N – nicht überleben!
Irgendwie hab ich es mir dann doch anders überlegt. Leider. Leider reizte es mich mehr, die Kohle nicht auf dem Konto sondern in der Hosentasche zu haben.
Die neuen Eigentümer des Hauses übernahmen auch gleich noch das nicht ganz billige Inventar meiner Mutter, dafür gab’s noch mal einen fünfstelligen Betrag obendrauf.
Ich habe alles verkauft, zu Geld gemacht. Geld, das Zeug, mit dem ich schon früher nicht umgehen konnte.
Alles zusammengezählt war ich – REICH!! Steinreich!
Millionär.
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Vorbei und vergessen war zunächst einmal die schmerzvolle Entbehrung meiner Mutter, der ich zu Lebzeiten nie gesagt hatte, wie sehr ich an ihr hing und sie liebte.
Ich kündigte bei Hans im Girlie’s, kündigte auch die schäbige Bude, in der ich zuvor mit Panja gehaust hatte und mietete eine Loft-Etage im Stadtteil Eilbek an. Neu ausgebaut, Erstbezug. Kaufte mit Susi Brinkmann im gleichnamigen Laden die teuerste Küchenausstattung, die ich ergattern konnte, alles in matt-geschliffenem Metall. Herd, Kühlschrank, die lang ersehnte Spülmaschine.
Ein neues Auto musste auch her, zu meinem neuen Leben passend. Ich bestellte einen Smart mit allen Schikanen, die zu der Zeit, dass er gerade neu auf dem Markt war, erhältlich waren und erst einmal eingebaut werden mussten. Das dauerte zwei Wochen.
Genug Zeit, um diesem Kauf noch einmal zu überdenken! Ein SMART? Ich war steinreich!! Und ich wollte groß was aufziehen, auf dem Kiez, natürlich! Da, wo ich hingehöre, wo meine Family nist!
Den Smart-Vertrag kündigte ich also auch mal ganz schnell wieder. Dafür gab es einen Merser! 560ger, SEC, ein Coupe, mit Schikanen, die es für den teuersten Smart nicht gab!
Leben geht los!
Koks - der Stoff, aus dem die Träume sind
Ein Tag wie jeder andere.
Einer aus der endlos langen Reihe derer gegriffen, die wie alle waren.
Breit, weiß und lang. Wie die Lines, die ich in diesen Tagen konsumierte.
Tür zu, Schlüssel von innen ins Schloss, Jacke eilig ausgezogen und über den nächsten Stuhl geschmissen. Sie fällt runter. Egal. Früher war ich so ordentlich. Und jetzt. Die Loftwohnung in Hamburg-Eilbek sieht aus wie ein Handgranatenwurfstand nach der Gefechtsübung.
Ich nestle in der Hosentasche rum. Autoschlüssel, Taschentuch (wichtiges Utensil), ein schwarzen Plastikröhrchen, das mal ein Kugelschreiber in SlimLine-Form war, kommen zum Vorschein. Da hab ich sie! Eines war in dem Taschentuchknäuel, die anderen zwei finde ich in der Hosentasche, die ich über der Tischplatte nach links kehre. Krümel fallen raus, Sandkrümel und auch ein paar ganz kleine weiße. War wieder eine Tüte undicht. Ich setze mich an den weißen Tisch, brauche eine farbige Unterlage, weiß auf weiß siehste nicht.
Eine Zeitschrift muss her. Wieder aufstehen, zum Couchtisch, der die Figur einer nackten Meerjungfrau darstellt, die die Glas-Tischplatte hält.
Letzte Woche gekauft, günstig, nur tausend Mark! Ich hab’s ja, kein Problem. Wieder hinsetzen. Das ist wichtig. Wer kokst, ist schnell außer Puste, hat nicht viel Kondition. Mit der Nagelschere schneide ich eines der drei kleinen Beutelchen aus grünlicher Plastiktüte auf, in der der Türke an der Ecke sonst immer das Gemüse und die anderen Einkäufe füllt.
Das ist neben den aufwendiger herzustellenden Papier-Briefchen eine der handelsüblichen Darreichungsformen. Vorsichtig stülpe ich sie um, weißes Pulver, etwa wie Waschpulver, fällt zu einem Häufchen auf die Zeitungsunterlage. Ich stochere vorsichtig mit der Schere darin herum. Auch kleine und größere, ganz feste Klümpchen sind dazwischen. Es glitzert ein wenig mineralisch. Gutes Zeug! Endlich, letztens war’s eine ganze Zeit lang beschissen.
Letztens war es gelblich, klumpig und zäh, blieb im Röhrchen hängen und verstopfte es. Mit Benzol gewaschen. Knallt, aber schmeckt nach Benzin und riecht genauso.
Dieses ist klasse. Das feine Pulver trenne ich säuberlich von den Bröckchen, die "Steine" heißen, nehme die Telefonkarte und ziehe mit gekonnter, sicherer und im Moment gar nicht zittrigen Hand eine Linie. Sie wird etwas länger. Ungefähr fuffzehn Zentimeter, und so drei bis vier Millimeter breit. Schätze ich. Mit der Zeit kriegt man ein Auge dafür. Und das war schon die Hälfte von einem Säckchen. Ein halbes Gramm also.
Mit dem Daumen verschließe ich das rechte Nasenloch, mit Zeige- und Mittelfinger führe ich das schwarze Plastikröhrchen ins linke.
Bis oben rein, sonst bleibt alles in den Nasenhärchen hängen. Langsam und gleichmäßig einsniefen. Dabei bewege ich das Röhrchen von rechts nach links über die Linie, die, nach dem das Röhrchen sie gestreift hat, verschwunden ist. Röhrchen weglegen, mit Zeige- und Mittelfinger ziehe ich den rechten Nasenflügel von der Nasenscheidewand weg und ziehe hoch, das rechte Nasenloch immer noch verschlossen. Hoch. Ganz hoch, bis das Weiße Glück oben gegen die Wand der Stirnhöhle knallt. Ich schlucke. Bitter! Ganz stark bitter. Edelbitter!
Ich muss husten, aufpassen dabei, das kein Schleim herausfliegt, da wäre dann womöglich das gerade genossene Halbe drin! Das wäre nun wirklich die pure Verschwendung. Ich schlucke. Langsam rinnt das Zeug edelbitter den Gaumen und die Speiseröhre hinunter. Nach kurzer Zeit betäubt dann dieses Gebiet ein wenig. Wenn das Zeug mit Lidokain gestreckt ist, ein Betäubungsmittel aus der Zahnarztpraxis. Dann kann’s ja nicht schlecht sein, denn wie hiess es früher in der Fernsehwerbung? „...das gibt der Zahnarzt seiner Familie“.
Es war nötig. Ich hab länger nichts mehr gehabt. Bestimmt schon drei oder vier Stunden nicht. Deshalb jetzt ein größeres Näschen. Kann ja nicht schaden. Drin ist drin, das nimmt Dir keiner mehr weg. Gleich noch ein kleineres hinterher, fürs andere Nasenloch.
Jetzt bin ich ruhiger. Koks wirkt sofort, nach Minuten, Sekunden. Die Hände sind ruhig, mir wird wohlig warm ums Herz und im Bauch. Gut ist, das noch eine ganze Menge da ist. Frische Ladung. Schlecht ist, wenn’s zur Neige geht. Dann kriegst Du Suchanfälle, kriechst auf dem Boden rum, jedes weiße Körnchen, und selbst wenn’s vom Frühstücksbrötchen von vor drei Wochen ist, siehst Du als Koks an. Wenn Du keine Kohle hast um Nachschub zu holen, wird’s noch schlimmer. Das kennt jeder Junky. Ich bin keiner.
Wenn Du Kohle hast, holst Du Nachschub.
Ich hatte immer Kohle.
Die Kinder vom Bahnhof Steindamm -oder- Der Andere Hamburger Strich
Es nieselt. Sagt man das eigentlich überall in Deutschland? Nieseln heißt, es regnet ein bisschen, ganz leicht, es sprüht, kein richtiger, regelmäßiger Regen, den man wirklich als solchen bezeichnen könnte. Im Rheinland heisst das Nieselregen.
Es ist irgendwann mittags oder nachmittags, im Dezember Neunzehnhundertachtundneunzig. Das Auto habe ich ein paar Strassen weiter abgestellt. Ich gehe den kurzen Weg zurück, durch das Viertel, in dem eigentlich das Nachleben von Hamburg-St.-Georg stattfindet.
Wenn es Nacht ist.
Nun ist Tag.
Der Steindamm ist eine belebte Einkaufsstrasse, nicht wirklich für Hamburg-Touristen geeignet, eher die Einkaufsstrasse für Leute, die hier wohnen. Du kannst hier türkisch, jugoslawisch und marokkanisch essen gehen und einkaufen, viele selbsternannte Juweliere aus dem Libanon und Arabien sind hier ansässig, Kinos, Porno-Kinos und Sex-Shops, ein Geschäft für Outdoor-Bekleidung, Gay-Shops, Döner-Buden.
Sündiges Leben und Treiben vermischt mit einem oberflächlichen Angebot von allem, was Menschen außer Sex noch brauchen oder auch nicht brauchen.
Der „Kleine Kiez“.
Der Steindamm war damals eigentlich eine zweispurige Einbahnstrasse, gepflastert, in der Mitte, zwischen den zwei Fahrstreifen ein schmaler, öfters unterbrochenen Grünstreifen, auf dem junge Bäume wuchsen, auch leere und zertretene Coladosen, Zigarettenkippen und weggeworfenes Umschlagpapier von Döner-Broten und Hamburgern gediehen hier prächtig. Links von der einen und rechts von der anderen Fahrbahn konnte man parken. Wenn man denn tagsüber einen freien Parkplatz fand, zwischen den sowieso geparkten Autos der Einkaufenden, Sex-Shop-Besuchern und Anwohnern und den türkischen Lieferwagen, die ständig be- und entladen wurden und einen ganzen Fahrstreifen blockierten und einen Stau verursachten, weil sich der Steindamm nach hinten hin, Richtung Hauptbahnhof, auch noch von den beiden Fahrstreifen zu einem verjüngte, an dessen Ende dann auch noch eine Ampel stand, die eigentlich immer, wenn man dort ankam, rot war und in ihrer Grünphase höchstens drei Autos über die Kreuzung liess.
Tagsüber herrschte also immer Hochbetrieb auf dem Steindamm, ein wenig Sex-Atmosphäre gemischt mit Orient-Feeling, zwischen all den Menschen aus aller Herren Länder.
Such ihn nicht, meinen Steindamm von achtundneunzig, heute sieht er anders aus.
Man will das Schmuddel-Image weg kriegen aus Hamburg, gerade in Bahnhofsnähe, wo all die Touris rumlaufen. Schlecht, wenn der Tourist im sowieso unübersichtichen Hausptbahnhof die Seiten verwechselt und statt Richtung schicker Mönckebergstrasse, wo es die schicken Pelzmäntelchen gibt, auf einmal mit der Gattin im schicken Pelzmäntelchen auf dem schmierigen Steindamm steht.
Doof auch, wenn der Gatte von Pelzmäntelchen dann gleich von ner minderjährgen Prostituierten angequatscht wird, die noch den Gürtel um den Oberarm und die tropfende Pumpe (Jargon für Spritze) in der Hand hat. Das wollte der schicke Senat der schicken Stadt Hamburg künftig vermeiden und hat den alten Steindamm weggemacht. Die Pelzmäntelchen hat er nicht weggemacht, der Senat.
Der Regen spiegelt sich auf dem Kopfsteinpflaster des Steindammes - des damaligen Steindammes. Denn auch as Kopfsteinpflaster haben sie weggemacht.
Ich gehe über die Fahrbahn, weil der Fußweg voll ist mit Menschen.
Ich suche Jenny.
Ich kenne sie vielleicht seit einem halben Jahr, war schon öfters bei ihr. Ich habe sie lange nicht mehr hier gesehen, im Revier, manchmal ist sie da, manchmal nicht. Dann hab ich auch eine zeitlang gar nicht nach ihr gesucht. Ich hatte keine Lust oder hatte einfach anderes zu tun.
Aber heute suche ich sie eben.
Das Koks von Konju war gut, die Nacht zuvor habe ich deshalb ohne Probleme durchgemacht. Wenn ich geschlafen habe, lange geschlafen - denn wenn Du zwei oder drei Tage durchgekokst hast, kannst Du lange schlafen - auch ein bis zwei Tage - dann brauche ich fast immer einen ganzen Tag, um wieder auf mein Level zu kommen. Am Anfang des zweiten Tages dann bin ich wieder richtig gut drauf, und noch nicht so körperlich erschöpft, wie man es nach mehreren Tage des Wachseins ist, aber auch nicht mehr so „gerade eben erst drauf“, wie man es nach den ersten Nasen nach dem langen Schlafen ist.
Ich habe jetzt Bock auf Jenny.
Ich habe sie auch damals hier kennen gelernt, auf dem Steindamm, als ich mein Auto parkte in einer der zufällig gerade freigewordenen Schräg-Parkbuchten mitten auf dem Steindamm. Als ich vorwärts in die Lücke rein gefahren bin, stand sie vor mir, gegenüber, im Hauseingang.
Alle Mädchen stehen hier in Hauseingängen, vor Haustüren. Stehen einfach da rum. Früher, ganz früher, als ich nach Hamburg gekommen war, hatte ich mich gefragt, was all diese Mädchen dort machen in den Hauseingängen, auf wen sie wohl warteten, in jedem Hauseingang eine.
Nun weiß ich, auf wen sie warten.
Auf Freier.
Auch Jenny ist eine Hure.
Freier, mit denen sie das schnelle Geld verdienen, für mehr oder weniger lohnenswerte Liebes-Schaupiele, denn als „Dienste“ kann man heutzutage eigentlich die Hurenarbeit nicht mehr bezeichnen. In Hamburg ist es vorwiegend Abzocke, egal, ob hier auf dem Steindamm oder auf der Reeperbahn.
Hier auf dem Steindamm stehen überwiegend Junkies, junge Mädchen, die sich hier ihre Kohle für den nächsten Stich, das nächste Blech oder die nächste Pfeife verdienen. Die Girls hier auf St.-Georg sind alle auf Koks oder Heroin oder Speed oder Crack.
Junge Mädchen.
Jackys Vormund
Eines Tages, ich war im Auto unterwegs nach Lübeck, bimmelte das Handy.
Ich hörte Achims Stimme, nicht ohne Genugtuung, durch den Hörer:
“Du musst mal ganz schnell herkommen in die Pension, die Schmiere ist hier, mit Jackys Mutter! Sie wollen Jacky abholen und sie fragen, was sie hier zu suchen hat!“ In diesem Moment hatte ich sogar Achim zugetraut, das er die Schmiere angerufen hatte und Jackys Mutter.
Aber Achim hätte mir nie ernsthaft schaden wollen.
Dazu war er doch zu sehr mein Freund.
Und ein guter Freund war er.
Trotzdem konnte ich seinen schadenfrohen Unterton hören, als ich die Pension betrat.
Draußen, gleich vor der Tür und eilig abgestellt, hatten zwei Peterwagen gestanden, ich hastete die Treppenstufen hinauf. Als ich die Tür zur Pension aufschloss, kam mir gleich ein Bulle entgegen, der wissen wollte, wer ich war. Ein weiterer wartete im Büro und hatte wohl schon mit Achim gesprochen, zwei andere versperrten mir den Weg auf dem Gang zu Jackys Zimmer, der vom Flur abzweigte.
So viel Polizei in der Pension Konig – das sah nicht gut aus!
Nachdem ich mich als Besitzer der Pension vorgestellt und mich ausgewiesen hatte, erklärte mir einer der beiden Beamten, die mich daran gehindert hatten Jackys Zimmer zu erreichen, dass gerade ein Jugendschutz-Mitarbeiter und Jackys Mutter in deren Zimmer waren und mit ihr sprachen.
Ich musste warten.
Einerseits machte ich mir Sorgen um Jacky, wollte nicht, dass sie zurück musste zur Mutter, wo es nach Ihren Angaben jeden Tag Schläge der wechselnden Freunde der Mutter, und ständig Kontrolle und Ärger. Andererseits machte ich mir ein wenig Sorgen wegen der vielen Polizisten und überdachte meinen Status in dieser Sache:
Ich beherbergte wissentlich eine minderjährige Prostituierte, die in meinen Räumen Drogen konsumierte. Beim Staatsanwalt müsste das für eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz reichen und zur Beihilfe zur Drogenbeschaffung, wenn sie mir nicht gar etwas anhängen würden wegen Zuhälterei oder ähnlichem, mein Zutrauen in den Justizapparat war seit jeher schon eher schwach.
Ich erzählte also, woher ich Jacky kannte und was ich von ihr wusste. Der Polizist in Zivil hörte sich meine Darstellung der Geschichte an und schien sie - für mich erstaunlich - auch zu begreifen und zu verstehen. Ich sah ein kleines Licht am Justiz-Horizont.
Denn von Jacky, die ich mittlerweile aus unseren vielen und intensiven Gesprächen gut einschätzen konnte, wusste ich zumindest eines: sie lügt nie und würde die Geschichte so darstellen, wie sie sich wirklich zugetragen hatte.
So war es dann auch. Aus ihrem Zimmer kam bald darauf der Mitarbeiter der Jugendbehörde.
Wir saßen im Büro zusammen mit Achim und ich hörte mir an, was er sagte:
“Ich habe mit Jacky gesprochen,“begann er, „... sie hat mir erzählt, wie sie beide sich kennen gelernt haben, und was Sie alles für sie tun. Sie hat mir gesagt, das sie sich hier sehr wohl fühlt und dass Sie auf sie aufpassen. Auch, dass sie nicht mehr anschaffen müsse für das Geld, was sie für ihren Stoff benötigt - so schlimm das alles auch ist! Ich kann nicht gerade sagen, das der Kiez das geeignete Zuhause für ein minderjähriges Mädchen ist. Aber -...“ , der Typ vom Jugendamt machte eine bezeichnende Pause und holte Luft - und nun kam das, was mich zutiefst erstaunte und was Achim die Zornesräte ins Gesicht trieb, „..aber, angesichts der Umstände und der Tatsache dass, würden wir sie jetzt mitnehmen und zu ihrer Mutter oder wieder ins Jugendheim bringen, sie spätestens morgen früh wieder auf der Vermisstenliste stehen würde, halte ich es für das Beste - ihr Einverständnis..“ - mein Einverständnis!- „...vorausgesetzt, wenn sie bis auf Weiteres hier bleibt. Hier wissen wir alle wo sie ist und das es ihr - nach ihrer eigenen Angabe - sehr gut geht.“
Mich traf der Schlag.
Das Jugendamt vertraute mir mehr als ihrer eigenen Behörde, ja mehr noch, mehr als Jackys Mutter!
Ich war überglücklich.
Natürlich durfte sie hier bleiben, meine kleine Hure, die mich jeden Tag den Monatsbezug eines Sozialhilfeempfängers kostete.
Natürlich durfte ich sie hier bleiben!
Jacky war mittlerweile auch ins Büro gekommen.
Wir fielen uns in die Arme, sie weinte, wusste selber nicht ob vor Schreck über den Polizeieinsatz oder vor Glück. Ich küsste ihre Haare.
Jackys Mutter verließ wütend und verärgert die Pension.
Und meine Jacky durfte bleiben.
Die Knarre
Es ist dunkel, Nacht in Hamburg. Süderstrasse, Fernfahrer-Strich.
Rundrum verlassenes Territorium, Fabriken, Schrottplätze, Gebrauchtwagenhändler - alles zu um diese Zeit. Es regnet ein bisschen, das Kopfsteinpflaster glänzt im Scheinwerferlicht. Ich biege nach rechts ein, bei einer Tankstelle, die einzig belebte Insel in dieser dunklen, unheimlichen See. Ich war immer schon etwas ängstlich. Alleine würde ich mich hier nicht wohlfühlen.
Konju hatte sich auf dem Kiez umgehört. Für mich, den Geschäftsmann vom Kiez, der nur so zu seiner eigenen Sicherheit eben eine Knarre brauchte. Knarre ist cool. Damit bist du ein richtiger Mann. Die braucht man einfach. Auf dem Kiez.
Wir sitzen im Auto, es wird langsam kühl, seit der Motor aus ist. Wir sagen beide nicht viel, auch Konju ist die Spannung anzumerken. Ich schalte die Standheizung ein. Es piept unter der Motorhaube, man hört wie eine Art Föhn einschaltet, ein Brummen, dann wird’s warm. Fast geräuschlos. Mercedes. Angespannt schauen wir aus den Fenstern.
„Da…!?“ sage ich unsicher. Eine dunkle Gestalt löst sich aus einer Ecke neben der Tankstelle. Ich schalte den Scheibenwischer ein. Jetzt kann man sie besser erkennen. Eine Person kommt auf uns zu, den Jackenkragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen.
„Mach mall Lichthupe, Dick’rr!“sagt Konju. Mach ich. Die Gestalt hebt kurz die Hand und kommt auf uns zu. Wir fahren los, nur ein kleines Stück.
„Da rechts,“ sagt der Ausländer, der zu uns in den Wagen gestiegen war, er saß vorne neben mir, Konju war nach hinten geklettert. „Fahr da rechts ran und Lampen aus!“ Ich tat, wie befohlen. Konju von hinten: „So jetzz alle Handy ausmachen, Akku rraus!“ Ich schalte mein Handy ab. „Nää, Dick’rr, Akku musst Du rrausmachen, sonst können die Dich orten. Echt Dick’rr, ich red’kein Scheiss’, die können auch härren, wo Du bist, wenn Handy auss iss.“
Ich nehm den Akku raus. Konju schraubt noch zur Vorsicht die Antenne ab.
Der Typ neben mir nestelt an seiner Jackentasche rum. Er holt einen grossen, fettig aussehenden braunen Umschlag hervor. Ölpapier. Ich will die Deckenbeleuchtung anmachen. „Biss Du verrrückt, Dick’rr, mach nicht an!“ Konju lacht. „Ahrrr, Dick’rr, finden die uns soforrt!“
Der Typ packt den Umschlag aus. Es kommt ein speckiger, öliger Lappen zum Vorschein. Er wickelt die Knarre aus. Das schwarze Metall glänzt matt im fahlen Licht, das von den Straßenlampen ins Wageninnere scheint.
Ein Auto kommt langsam angefahren. Die beiden schauen besorgt, der Typ neben mir lässt die Knarre in Richtung Boden unter den Sitz verschwinden. Der Wagen fährt vorbei. Ein dicker Sechshunderter, ein Cabrio, schwarz, eher Zuhälter als Bullen.
Wieder kommt die Knarre zum Vorschein. Der Ausländer gibt sie mir.
Automatik, die lädst Du mit sechs Schuss im Magazin, eine im Lauf. Ich nehme das Ding, ziehe fachkundig, aber doch vorsichtig erst einmal das Magazin raus. Es ist voll. Ich halte die Knarre nach unten, drehe sie rum, so dass der Auswurfschacht der Patronenhülse zum Boden zeigt. Dann ziehe ich langsam mit der linken Hand den Schlitten nach hinten, so dass die Hand unter dem Auswurfschacht ist. Es fällt nichts heraus. Der Lauf ist frei. Ich entsichere die Knarre, mache einen Entspannschuss Richtung Wagenboden. Klick. Funktioniert. Das habe ich beim Bund gelernt. War doch zu was gut, der Wehrdienst. Ich rieche am Lauf, am Auswurfschacht. Nichts zu riechen. Entweder gut geputzt oder echt noch nie geschossen.
“Der hat Ahnung, derr Dicke, war bei Militärr!“ sagt Konju anerkennend von hinten zu dem Typen, den er wohl gut kennt. Konju kennt alle. Alle die wichtig sind im Milieu.
Der Typ neben mir auf dem Beifahrersitz schaut sich meine Zeremonie gelangweilt an. Wenn ab und zu ein Auto um die lang gezogene Kurve im Industriegebiet biegt, schaut er kurz skeptisch, prüfend hoch. Konju auch.
“Ok,“ sage ich, „wie abgemacht?“ Konju hat den Preis schon vorher ausgehandelt. Sicher auch mit einer kleinen Gewinnspanne für ihn selbst.
“Ja, achtzehnhundert, hab ich schon mit Konju klargemacht. Is’n Freundschaftspreis. Hier!“ Er reicht mir noch ein leeres Magazin rüber. „Für alle Fälle...!“ Für welche Fälle- denke ich.
Wir fahren gemeinsam zurück, an der Shell-Tanke am Fernfahrerhof steigt er aus. Konju auch. Ich habe die Knarre gut unter dem Sitz verstaut. Konju wechselt noch ein paar Worte mit dem Typen, dann steigt er wieder ein.
“Na, Dick’rr,“ er grinst, „haben wir doch gutes Deal gemacht, ne? Normal kriegst Du nurr teurer! Was ist das für Ding, Dick’rr?“
“Siebenfünfundsechziger Colt Automatik, aber schon ein paar Jährchen alt. So Baujahr ‘75 schätze ich.“
“Jaaah - aber macht nixx, Dick’rr, Hauptsache schiesst, näh!“
Was ich eigentlich damit wollte, weiß ich heute ehrlich gesagt auch nicht mehr so genau. Ich fühlte mich halt sicherer, wenn ich sie hatte. Ein Mann braucht eben eine Knarre. Obwohl ich eigentlich meistens sehr wenig Mann bin.
Gut, ab und zu hatte ich so an die zehn Mille lose in der Tasche, aber deshalb gleich schießen, wenn sie einer haben will?
Jedenfalls hatte ich jetzt eine Knarre. Später kam noch eine hinzu, ein zweiundzwanziger Trommelrevolver, den hatte Konju irgendwo eingetauscht und konnte damit nichts anfangen. „Kaliber ist zu klein, Dick’rr, kannste nur Spatzen mit schießen!“ Er hat sie mir für Achthundert überlassen, ich solle sie für ihn an den Mann bringen. Aber das Geld hat er gleich von mir kassiert. Besser gesagt, er hat es aufgeschrieben. Denn zur Zeit des Zweiundzwanzigers war ich schon pleite. Konju hat sich dafür für eine zeitlang den Colt Automatic geborgt. Er hatte ihn seit dem ständig bei sich, seit er beim Kokainhandel ein paar unangenehmen Gestalten aus Versehen auf die Füße getreten war.
Mein Colt in seiner Wohnung, das war bei Konjus Verhaftung mit ein Grund, warum er - auch jetzt noch - sitzt. Sein Bruder wollte mich überreden, bitten, drängen, alles, was möglich war, damit ich bei der Schmiere aussage, das es meine Knarre ist. Ich habe mich gut gehütet, dies zu tun.
Soll ich an Konjus Stelle in den Knast? Aber das war erst später.
Ich zweifle manchmal sehr daran, dass ich für jemanden ein guter Freund bin.
Nicki’s Disco - Der Rote Teppich
Irgendwann hat sich Konju ein Auto gekauft. Nicht, dass er so gut hätte fahren können. Oder gar einen Führerschein hatte. Er wollte einfach ein Auto haben. Jetzt gleich. Und da er von irgendeinem Typen - wie von vielen - einen nicht unansehnlichen Geldbetrag bekam, Koksschulden, hat er gewissermaßen dessen Auto einfach beschlagnahmt. Für den Gegenwert von Zwoeinhalb bekam er einen wirklich schönen Peugeot Kombi, graumetallic, mit Leichtmetallfelgen. Der verbrauchte zwar ein bisschen viel Öl und auch nicht allzuwenig Sprit, aber was soll’s - er hatte es ja.
Und so stand das Ding eines Tages vor der Tür der Wohnung seines Bruders.
„Eehhh, Dick’rr, na wie gehtt Dir? Guck mal, habe ich Auto jetzz!“ Er nahm den Schlüssel, rannte zur Wohnungstür raus, Treppe runter. Ich hinterher. Er zeigte mir seine Beute.
„Und Dick‚rr? Iss schänes Auto oder? Musstess Du mal probefahren, ob alles gut ist. Vielleicht wir brauchen Öl, oder weiss ich was!“
„Dicker, Du hast doch gar keine Lappen?“ frage ich nach dem Führerschein.
„Paahhh, egal, Alt’rr, kann ich Autofahren bestimmt. Seiggst Du mir bisschen. Fahren wir Abend, wenn nicht viel Verkehr iss auf Strasse. Werdd ich schon begrreifen!“
Hat er auch begriffen, sogar recht schnell. Irgendwie hatte ich doch immer noch ein ungutes Gefühl, wenn er mich auch nach Wochen im Besitz des Autos, mit dem sogar ich gerne fuhr und das meistens auch tat, weil er wohl doch ein bisschen Schiss hatte, angehalten zu werden ohne Führerschein, fragte: „Ab’rr Dick’rr, sag mal, was bedeutet eigentlich dieses Verkehrsschild. Ich habe oft gesehen schon, ja, kenne ich alles gut. Ab’rr sag mal, was bedeutet?“ Ich gab ihm also noch ein paar Fahrstunden, erklärte ihm immer, wenn wir irgendwo mit dem Auto unterwegs waren, worauf er achten müsse und erklärte ihm die Schilder. Später fuhr er immer selber. Die weite Strecke zu Nicki, mit der er jetzt zusammen war, Richtung Rostock. Er ist gut gefahren, hat nie einen Unfall gebaut, egal wie breit er war. Mit Koks kann man gut Auto fahren. Weil man ruhig ist und konzentriert.
Kennzeichen hatte das Vehikel nun auch: ich hatte noch ein paar alte, niederländische Kennzeichen von einem früheren Wagen. Ich hatte ja schon mal in Holland gewohnt. Und für die dazu passenden Papiere war der Farbdrucker zuständig. Wenn Konju eh schon keinen Führerschein hatte...
Wir fuhren oft da in die Gegend zu Nicki, mindestens jedes Wochenende. Ich liebte die Neuen Bundesländer. Hier biste noch wer!
Nicki kannte eine Discothek. Die wollte sie uns gern zeigen. Wir also hin zu Nicki, Konju und ich, mit meinem Nutten-Ferrari.
„Dick’rr, lass mal mit Merser fahren, sieht besser aus! Mit Hamburger Kennzeichen, alle denken, wir sind Zuhälter!“ er lachte. „Warte mal ab, wirdd grosses Show!“ In Nickis Wohnort haben wir dann sie und ihre Freundin Anja eingeladen, mit der später Konjus Bruder zusammenkam. Ein nettes Mädchen, auch sehr hübsch, zwar mit für meinen Geschmack etwas zu viel Oberweite ausgestattet. Aber ich musste ja nichts von ihr wollen. Ich mochte Anja mit der Zeit richtig gerne, mehr schon als Nicki, die zunehmend komischer wurde.
Dann ging es los. Von Nickis Wohnort bis zu der Dorf-Disse waren wir fast eine Stunde lang unterwegs. Nicht, das der Weg so lange gewesen wäre. Aber eine sogenannte Chaussee, und davon gibt es viele im Osten, ist für einen tiefergelegte Mercedes nicht das selbe wie für einen anspruchslosen Trabbi. Gebirgsähnliche Höhenunterschiede in der Strasse von zehn Zentimetern, von jetzt auf gleich, sind nicht so einfach zu meistern, im Dunkeln, wenn Du ganz langsam fahren musst, damit das Fahrwerk nicht aufsetzt.
„Da hinten isses,“ sagte Nicki von der Rückbank aus, „Da, wo alles beleuchtet ist.“ Alles beleuchtet! Ein paar fahl-gelblich leuchtende Lichtmasten standen auf dem Parkplatz, eben nach Ost-Manier, machten gerade soviel Licht, das Du sehen konntest, das hier der Tanztempel war, und keine Kolchose. Denn äußerlich unterschied sich die Disco wenig von einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die er früher auch mal war, nehme ich an. Viele ehemalige Bauern funktionierten ihre alten Höfe nach der Wende zu Discotheken um. So gab es dann auch jede Menge hier in der Gegend, alle zehn Kilometer eine, und alle genauso schlecht erreichbar wie diese. Rundrum standen ein paar Ost-Häuser, es war Winter oder Frühjahr, jedenfalls schneite es ein wenig und war kalt. Geruch von Hausbrand, von kohlebefeuerten Öfen und Trabbi-Sprit hingen in der nebligen Luft. Wir bogen auf den Parkplatz der Disse ein. Festgestampfter Lehmboden, mit Schlaglöchern und Pfützen darin. Der Parkplatz war voll, wie ich sah, als ich schon draufstand mit dem Wagen. Auch ringsherum, auf den Strassen und Gehwegen um die Disse standen Autos. Trabbis, Wartburgs und dazwischen einige kitschig aufgemachte Golf GTI’s, in hell-lila oder kreischend-gelb. Osten pur. Schade eigentlich, dass die Manta’s aus der Mode gekommen sind, dachte ich, die würden auch noch hierher passen. Und da stand tatsächlich einer! Aber ohne Fuchsschwanz an der Antenne. Klischee-Bilder.
So standen wir nun auf dem Parkplatz der Disse, alle im Wagen schauten sich suchend nach einer Parklücke um. Wir standen auf der Zufahrt, mitten drauf, der eigentliche Parkplatz ging nach links ab. Wir standen praktisch vor dem Eingang. Schilder „Hier nicht parken“ und gelb-rote Plastikhütchen zeigten mir, dass ich hier wohl nicht stehen bleiben konnte. Ordentlich, wie ich es gelernt hatte, legte ich den Rückwärtsgang ein, um mir woanders enen Parkplatz zu suchen.
Von der Tür kam einer der Türsteher angelaufen, dahinter ein zweiter. Wir im Merser-Coupe mit Hamburger Nummer. Ich mache das Fenster auf. Langsam fährt die Scheibe elektrisch runter, fast majestätisch. Mercedes. Ich setze den ernsten, coolen Blick auf, will grade schon sagen: „Ja, ja, ich fahr schon weg!“ als der Türsteher ruft: „Ne, ne, ist gut, stellen Sie mal ruhig dort hin, der Kollege holt eben Hütchen!“ (das sind die gelb-roten Plastikdinger). Ich bin etwas verwundert, stelle aber dennoch die Kiste mitten vor den Eingang, wie befohlen. Kollege kam, mit zwei Baustellen-Blinklämpchen, die schon während er angelaufen kam, eifrig gelb blinkten. Geht - geht nicht, geht - geht nicht! Kollege stellte eines vor und eines hinter den Merser, als wir ausstiegen.
Das war ja fast ein roter Teppich.
Konju grinste. „Siehste, Dick’rr, habb ich nich gesagt? Wirr machen Eindrruck!“ Er betonte „Eindruck“.
Wir vier gingen die paar Stufen zum Eingang rauf. Teenies standen vor der Kasse, Jungs und Mädchen, eine lange Schlange. Der Türsteher vom Parkplatz lief aufgeregt vor uns her, schob die Leute zur Seite. „Weg da, lasst uns durch! Zur Seite!“ Und zu uns: „Kommt mal hinter mir her.“ Er schleuste uns an der Kasse vorbei, hob die Hand zur Kassiererin: „Alles ok!“
Alles ok! Nichts bezahlen! Keine fünf Mark Eintritt, wie auf einem Schild neben der Kasse stand. Pro Person. Staatsempfang. Zuhälter-Effekt. Wie Konju prophezeit hatte.
Zwei coole Typen mit zwei heissen Schnitten. Hamburger Nummer am Auto. Da fragte niemand. Bloß keine dummen Fragen, keinen Ärger provozieren. Das sind Hamburger. Ich gebe zu, das ich einigermaßen überrascht war. Und irgendwie stolz! Das hatte ich nicht erwartet!
Drinnen in der Disse: Ost-Romantik. Viel Holz an den Wänden, robuste Bänke und Tische, wenig Schick. Aber eine gute Lichtanlage an der Decke, und als wir reingingen, lief gerade House. Leider blieb das nicht so, denn als die Girls gerade tanzen gehen wollten, lief Hip Hop, Pop-Kram und ähnliches.
Wir waren unzufrieden. Nun kommen wir extra wegen dieser Bauern-Disse den weiten Weg hierher und dann so was. Ich also hin, zum DJ. „Wann gibts denn hier wieder mal House?“ fragte ich.
„Ja, ich mache das immer so abwechselnd, für jeden Geschmack was. So in einer halben Stunde oder so, schätze ich!“ Ich ziehe einen Halben (Fuffzig Mark) aus der Tasche. Geld habe ich immer lose in der Anzug-Tasche, - und zu der Zeit hatte ich noch Geld -, schiebe ihn über das DJ Pult. „Schau mal, ob das nicht früher geht, ja!“ sage ich, freundlich, aber mit festem Blick, zwinker’ ihm souverän zu und gehe wieder zu den anderen.
Die Platte, die gerade lief, brach fast jäh ab.
Den ganzen Abend, bis wir fuhren, lief nur noch House.
Und wir fuhren spät. Besser gesagt - früh.
Osten. Zuhälter - Effekt.
Irgendwann hat sich Konju resozialisiert. Nein, er hat natürlich nicht das Koksen aufgegeben und sich einen normalen Job in der Freien Wirtschaft gesucht. Ich meine, er hat sich eine eigene Wohnung besorgt. Ich weiß nicht, warum er so lange bei seinem Bruder gewohnt hat, in dem kleinen Zimmer geschlafen hat. Konju hat immer Geld gehabt.
Die Geschäfte mit dem Weißen Glück liefen im Durchschnitt gesehen prima.
Er hatte immer ein dickes Knödel Kohle in der Tasche. Einen „Hügel“, wie man in Hamburg sagt. Er hatte irgendwann eine neue Freundin gefunden, nichts Tolles, ich mochte sie nie. Aber er wollte, das jemand zuhause war, auf ihn wartete, Essen kochte. Familie, eben. Als Ersatzkind hat er sich Boxi gekauft, einen ganz jungen Hund, eine Mischung aus Boxer und Mastino oder so was ähnliches. Er hat ihm nach Kiez-Manier gleich die Ohren und den Schwanz kupieren lassen. Jetzt war der kleine Boxi ein echter Kampfhund. Zuhälter - Effekt.
Die Wohnung, in der er nun zusammen mit seiner Freundin - die er doch ständig mit einer der vielen Huren, die er kannte, betrog - wohnte, war recht schön und riesengroß, wenn auch nichts drinstand.
Eines morgens dann haben sie Konju abgeholt .
Es war wohl so gegen sieben Uhr früh. Man hat erzählt, sie wären mit mehreren Mann gekommen, hätten die ganze Bude auf den Kopf gestellt und ihn mitgenommen. Wegen seiner früheren Auto-Aufbrüche lief wohl noch ein Haftbefehl. Weiter hieß es, die Schmiere hätte einen Tip bekommen. Denn er wohnte ja erst kurz da. Die Freundin wäre ein Polizei-Spitzel gewesen, sagten sie. Kann ich mir nicht vorstellen. Dazu war die viel zu doof. Aber besser isses vielleicht so. Ich habe, sofort nachdem ich von seiner Verhaftung erfuhr, ein schlechtes Gewissen gehabt. Ohne Grund. Ich habe mir vorgestellt, sie könnten den Anpfiff mir in die Schuhe schieben. Gründe genug hatte ich. Wenn hundert Mill Schulden wegen Koks kein Grund sind...
Aber niemals hat jemand so etwas behauptet. Und ich war’s, nicht, ehrlich nicht, Dick’rr.
Sein Bruder und dessen fetter, brutaler Cousin kamen danach ständig ins „Girlie’s“ gelaufen, wo ich später, als ich pleite war, wieder arbeitete, wollten die Kohle. Für einen Rechtsanwalt, für Kautionen. Dreißig Gramm hatten sie wohl bei Konju gefunden, schön säuberlich mit der elektronischen Waage für dreihundert Mark abgewogen und in die Türken-Plastikbeutelchen eingeschweißt.
Und eine Knarre.
Colt-Automatik, sieben-fünfundsechsziger.
Meine.
Der König wird entthront.
Die ersten Todessehnsüchte überkamen mich.
Ich hatte immer zu mir selber gesagt: „...Wenn die Kohle weg ist, machst Du Schluss!“. In dieser Stimmung war ich zu der Zeit. Schluss machen mit allem.
Die Mietschulden, die Strom-, Wasser- und Gasrechnungen waren so hoch, selbst ein guter Verkauf der Pension hätten es kaum mehr gebracht. Und dennoch. Ich trug mich mit dem Gedanken, die Pension, die ich vor einem knappen dreiviertel Jahr für Fuffzigtausend gekauft hatte und mindestens noch mal für zwanzig Mill aufgewertet hatte, zu verkaufen. Aber es musste schnell gehen. Es fand sich bald ein Interessent, der sprang aber wieder ab.
So banal es auch war, ich hätte die Investition in die Pension König noch irgendwie zurückverdienen können, und sei es nur zum Teil - aber ich hatte nicht einmal mehr das Geld, die Annoncen für den Verkauf zu bezahlen. Ich hatte auch die Kraft nicht mehr.
Tief drin im Kokssumpf hast Du keinen Bock mehr auf Geschäfte, auf feinfühlige Verhandlungen.
Ich hatte nicht mal mehr Bock, aus dem Haus zu gehen.
Ich lag auf dem Bett in Zimmer Fünf, in dem ich mich häuslich niedergelassen hatte. Allen anderen Mietern, die zu der Zeit sowieso unregelmäßig bis gar nicht mehr zahlten, hatte ich gekündigt. Seit Achim nicht mehr im Haus war, wurden Zimmer aufgebrochen von Leuten, die hier mal wohnten und noch Schlüssel hatten, Fernseher geklaut und verscherbelt. Ich schlief mit der geladenen Knarre unter dem Kopfkissen.
Ein letztes Aufbäumen! Noch einmal das eingerostete Steuer rumreissen. Den Kompass, dessen Nadel unabweichlich auf ‚Absturz’ stand, noch einmal beeinflussen.
In Zimmer neun hate ein Junkie gewohnt, zusammen mit seiner Frau oder Freundin oder was immer die auch war. Frau oder Freundin war schon lange weg. Und der Junkie hatte sich wohl einen Schlüssel von der Pension nachgemacht. Ich hätte auch einfach as Turschloss auswechseln können. Aber das neune Schloss hätte ich bezahlen müssen. Wovon? Ich hätte es auch, um Geld zu sparen, selber einbauen müssen. Wie? Ich war völlig fertig, ständig mega-breit, Bewegungen waren nur möglich, wenn es dabei um Drogen-Beschaffung ging, und auch dann nur, wenn sie wirklich nicht zu vermeiden waren.
Aber beklauen lassen wollte ich mich dann doch nicht! Ein letzter Anflug von Ehrgefühl. Ich beschloss, mich auf die Lauer zu legen. Legen – liegen. Das war das einzige, was gerade noch so ging. Ich habe ja auch gar nichts mehr gegessen, in dieser Zeit. Nur noch gezogen. Ich war vollkommen abgemagert. Gehen und besonders Laufen, oder andere körperliche Anstrengungen waren schwierig bis unmöglich.
Es war dunkel geworden. Im Dunkeln würde er wohl kommen, der Junkie. Verachtenswert, ein Junkie! Ich war keiner. Nur gerade mal nicht so gut drauf. Seit Wochen - Monaten.
Ich löschte alle Lichter in der Pension König. Verschloss die Tür von Zimmer Zwei, von innen. Setzte oder legte mich aufs Bett. Nahm die Knarre, lud sie durch. Den Sicherungshebel nach unten. Wenn der nach unten zeigt, ist das Ding gesichert. Wenn du es um 45 Grad drehst, im Uhrzeigersinn, nach vorne, dann rastet er mit einem leichten Klicken ein, in der Stellung „Schussbereit“.
Noch war die Knarre gesichert.
Lange Zeit passierte nichts. Ich sass oder lag auf dem Bett, abwechselnd. Die Knarre neben mir auf dem Kopfkissen. Ziehen, liegen, ziehen, sitzen.
Wie damals schon mit dem fremden Mann und Adana in der Danziger wusste ich nicht mehr so recht, ob und was ich höre. Sinne spielen verrückt. Ohren horchen, aber gehorchen nicht mehr.
Ein Knacken! Metallisch dreht sich ein Schlüssel im Türschloss, an der Eingangstür der Pension! Die Tür quietschte immer leicht, wenn sie aufging. Auch jetzt qietschte sie leicht. Also ging sie auf! Hoch aus der Waagerechten! Tasten nach der Knarre. Atem anhalten. Schritte! Schrappende und kratzende Geräusche, irgendwo aus der Richtung von Zimmer acht oder neun. Ein gedämpftes Krachen, es hörte sich an, als wenn eine Tür aufflog und gegen irgend etwas stiess.
Ich stand hinter der Zimmertür von Zimmer Zwei, drehte langsam den Schlüssel im Schloss nach rechts, drückte die Klinke nieder, zog die Tur langsam und vorsichtig zu mir hin. Jetzt keine Geräusche machen. Bloss nicht!
Klick! Machte der kleine Hebel leise, als er, geführt durch die Kuppe meines Daumens, in die Stellung „Schussbereit“ flutschte. Mein Herz schlug bis zum Halse. Herzschlag 200! Atemnot. Ich huschte den Gang nach links entlang, vorbei an leeren Zimmern, die niemand mehr bewohnte. Jetzt kein Gedanke mehr an Koks! Anspannung. Aufmerksamkeit. Keine Geräusche machen jetzt! Links in der Ecke war das ehemalige Zimmer von Jacky, dort machte der Gang einen Knick nach rechts, hin zu den Zimmern acht und neun, vorbei an den Duschen. Wieder Gräusche, jetzt deutlich vernehmbar, aus Zimmer neun kommend. Ruckartig schoss mein Kopf hervor, kurz um die Ecke zu dem betreffenden Zmmer schauend, innerhalb einer Sekunde alles wahrnehmen wollend, dann wieder zurück. Mein Mund war offen, ich atmete schwer, aber mit offenem Mund machts keine Geräusche. Hoffte ich zumindest. Wieder vorsichtig um die Ecke. Da!, jetzt, ein Schatten, ein Huschen auf dem Gang. „Bleib stehen, auf den Boden!“ keuchte ich, ausser Atem. BANG... NNNG... NNNNG! machte es. Der Schuss hallte in meinen Ohren wieder. Mir war schwindelig. Ob alle Bang’s zum Schuss gehörten oder eines der Bang’s zum Zuschlagen der Tür der Pension – ich weiss es nicht. Ich weiss nicht einmal, ob sich die Tür jemals wirklich geöffnet hatte. Bis heute weiss ich es nicht sicher. Ich weiss nur, dass die Kugel im Türblatt von Nummer neun steckte. Auf der Höhe von 175 Zentimetern. Kopfhöhe. Ich hab’s nachgemessen. Stell dir mal vor, da ist nun wirklich jemand rausgelaufen – ich weiss es nicht. Ich weiss nicht einmal, ob sich die Tür jemals wirklich geöffnet hatte.
Der Fernseher war weg. Aber das war er auch vorher schon. Ob sonst was fehlte, weiss ich nicht. Ich hätte vielleicht vorher mal nachsehen sollen.
Alles war weg.
Ich konnte nichts mehr dagegen tun.
Ich wollte es auch nicht mehr.
Ich hatte doch einfach keine Kraft mehr!
Ich wollte nur noch Drogen, Koks, ziehen bis zum Umfallen, gerade noch aus dem Haus gehen, um neue Drogen zu besorgen, dann schnell wieder heim, Vorhänge zu und weiterziehen, weiterrauchen.
Ein trauriger Lebensinhalt, nicht wahr? Der einzige Sinn, den ich noch im Leben sah. Nur mit Koks konnte ich noch so viel Adrenalin und Kraft aufbringen, um mich am Leben zu erhalten, konnte sogar, trotz der trüben Stimmung, die nur noch vorherrschte bei mir, ab und zu so viele Endorphine versammeln und auf einmal als Stoss ausschütten, das ich mal lachen konnte und mich amüsierte.
Für einen kurzen Augenblick. Die Augenblicke wurden immer kürzer. Bis sie endlich ganz versiegten.
Ich realisierte langsam, ein Junkie geworden zu sein.
Ein Junkie. Ich. Der Sohn aus gutem, mittelständischen Hause.
Ganz unten.
Ohne Hoffnung, aus eigener Kraft wieder auch nur bis in die Nähe der Oberfläche zu kommen.
Alle so genannten Freunde und Bekannten zogen sich immer weiter von mir zurück. Koks-Bekanntschaften. Was will man erwarten. Ich hatte kein Geld mehr, konnte keine Lines mehr ausgeben oder gar ganze Grämmer verschenken, Koks-Parties machen, zu der immer alle gerne, oft und lange kamen. Keine Champagner-Bäder mehr im Pool in der Danziger - dem Paradies, das es nicht nur für mich sondern wohl auch für alle waren war, die mich dort besuchten und das Leben in vollen „Zügen“ genossen. Es war nichts mehr zu genießen. Nicht einmal mehr für mich.
Achim war zwischenzeitlich mit all seinen Sachen ausgezogen aus der Pension König. Der Vermieter hatte seinen Besuch angekündigt, den wollte er nicht sehen, ganz klar, und auch ich wollte ihm auf keinen Fall Rede und Antwort stehen müssen. Viel zu unsicher war ich geworden, menschenscheu. Ich wollte mein Koks, und dann in Ruhe gelassen werden. Niemanden mehr sehen.
Als der Tag näher rückte, zu dem der Vermieter sein Erscheinen angekündigt hatte.
Vorher, in noch halbwegs klarem Zustand, konnte ich immer wieder Vertröstungen erfinden, um ihn hin zu halten. Die Steuer war zu bezahlen, ich hatte einem Freund aus einer finanziellen Notlage helfen müssen, ich zahle, kein Problem, in drei Tagen, nächste Woche, spätestens in zehn Tagen. Nun war seine Geduld –zurecht, wie ich im Nachhinein einräumen muss- zuende. Ich beschloss, abzuhauen. Ich konnte nicht länger in der Pension bleiben. Dauerbreit, zu keiner Form von Verhandlungen mit „Normalos“ fähig, musste ich ihm einfach aus dem Weg gehen.
Aber wohin? In die Danziger konnte ich nicht, die hatte ich, um irgendwie Geld zusammenzukriegen, untervermietet. Inklusiv all meiner persönlichen Habseligkeiten, meinen Möbel, Büchern, Unterwäsche. An ein paar Luden, die dort ihre Mädels ackern ließen.
Ich packte meine Pirate-Style Reisetasche, schmiss hinein, was ich in den Zimmern zwei und Fünf noch fand und schwankte zu meinem Merser. Es war schon kühl draußen, es war Herbst. Ich fuhr ziellos durch die Gegend, nahm an jeder Ampel einen Zug Koks aus dem kleinen braunen Ex-Poppers-Fläschchen. Lose einen kleinen Haufen auf den linken Handrücken geschüttet, keine Lines mehr, das dauert mir einfach zu lange, mit dem Daumen der rechten Hand das rechte Nasenloch zugedrückt und durchs linke eingezogen. Die Leute im Auto neben mir an der Ampel gucken komisch. Ein Ehepaar, mittleres Alter. Lass sie doch gucken.
Was wohl die Nachbarn sagen würden. Der missratene Sohn…
Höllenfahrt
„Mir reicht’s, ich hau ab“ brüllte ich durch die verschlossene Tür, „...ich lass mich von euch nicht verarschen!’, rannte den Gang hinunter wieder zurück, packte den Autoschlüssel und die schwarze Leder-Sporttasche Marke Pirate, tausend Mark, in die ich irgendwann vorher die Knarre geschmissen hatte, und knallte die Wohnungstür von außen zu. Treppe runter, rein ins Auto. Motor an. Es rauschte. Wenn ein Fünfhundertsechziger Motor gestartet und hochgetrieben wird, dann heult er nicht auf - er rauscht nur etwas windiger als normalerweise. Mercedes.
Ich gebe Gas, fahre los. Ach ja, Licht an, merke ich so nach zehn Minuten mitten in der Nacht dann auch. Ich biege von der Danziger Strasse in die Lange Reihe ein. Das Autotelefon summt. Es bimmelt nicht, es summt dezent. Mercedes. Erst, als die Radiostummschaltung des Telefons nach dem dritten Summen die Musik killt und die Automatik das Gespräch zuschaltet, merke ich, das das Radio überhaupt an war. Volle Dröhnung! Es ist Ines. Ich nehme den Hörer kurz ab, knalle ihn wieder auf die Halterung. Er fällt runter, ich höre helles Stimmengezwitscher aus den Quadro-Surround-Lautsprechern. Scheisse. Ich bücke mich schnell Richtung Beifahrer-Fussmatte, um den verdammten Hörer zu greifen. Als ich ihn endlich habe, ihn wieder auf die Halterung gedrückt habe und wieder dazu komme, zum vorderen Fenster hinauszusehen, steht vor mir eine Schrankwand mit rechts und links roten Leuchten daran, die in diesem Moment gleißend hell werden. Der rechte Fuß sucht das Bremspedal! Irgendwo da unten muss es doch sein!
Die Schrankwand wird ganz schnell immer größer. Werbung ist darauf. Hektischer Blick auf die Instrumente. Endlich! Das Bremspedal gefunden. Die Tachonadel rast von irgendwo oben im Affen-Speed nach unten, passiert gerade die Zahl Fünfzig, stetig fallend, fällt aber wohl aus größerer Höhe. Das gelbe Warndreieck vom ABS im Tacho leuchtet grell auf. Ich ziehe den Lenker ruckartig nach links. Während die Schrankwand nach rechts verschwindet, greift das ABS-System, das Bremspedal ruckelt dabei so gewaltig wie der Wagen bremst. Ohne quietschende Reifen natürlich. Mercedes. Ich stehe. Neben mir rechts der Bus, dem ich gerade noch habe ausweichen können. Der Fahrer in der beleuchteten Kabine schüttelt den Kopf, zeigt einen Vogel. Ich stehe quer auf der Gegenfahrbahn der Strasse Lange Reihe, unfähig, mich zu rühren. Hätte ja auch Gegenverkehr kommen können, dachte ich kurz. Das hätte das ABS-System dann aber auch nicht gewusst.
Die Knie zittern. Muskelverkrampfung, die sich langsam löst. Das Telefon summt schon wieder.
Ich reiße den Hörer aus der Halterung: „ Leckt mich am A..., verdammt, ich liebe Nadine, wann kapiert sie das denn endlich. Nur sie will ich. Nichts und niemand anderes auf der Welt. Das weißt Du doch,“ schreie ich Ines an, „...warum willst Du sie mir denn ausspannen? Ich hab die Schnauze voll! Ich bring mich um. Ich fahre jetzt gleich zur Elbe, da wo die Straßenbaustelle ist...!“
Ich stehe immer noch auf der Strasse.
Um die Ecke kommen zwei Scheinwerfer. Wie groß das Ding ist, an dem sie dranhängen, kann ich nicht erkennen. Der Blick ist verschwommen, die Pupillen weit. Ich lege den Rückwärtsgang ein. Bloß weg hier, Junge, so kannste doch nicht parken! Ich sehe mich nach hinten um. Strasse frei, trete aufs Gas, nichts. Die Lichter kommen näher. Schnell näher. Eine Hupe wie ein Fanfarenstoss ertönt. Nicht so laut! Bin breit. Ich trete wie ein wilder auf das Gas.
Nichts.
Der Motor ist aus.
Der entgegenkommende Wagen kann rechtzeitig bremsen, der Fahrer schreit Wort-Sonderangebote aus dem Fenster. Billig, billig! Mir doch egal. Arschloch.
Ich lasse den Motor an, fahre langsam und vorsichtig los. Die ABS-Kontrolleuchte am Armaturenbrett geht an. Gleich danach eine weitere, rote. Mühsam kann ich das Symbol entziffern. Die Bremsbeläge haben wohl etwas gelitten, wegen der Schrankwand gerade.
Die nächste Ampel ist rot. Ich bin ganz ruhig, fahre wieder ganz ruhig. Ich muss mich jetzt auf die Elbe und das Lebennehmen konzentrieren. Nicht, das ich vorher noch einen Unfall baue und draufgehe.
Während der Fahrt nestle ich in der Hosentasche rum. Immer schön auf die Strasse gucken. Nicht ablenken lassen. Ich finde das braune kleine Fläschchen, in dem mal Poppers gewesen war, früher. Jetzt dient es als Koks-Behälter. Da braucht man nicht immer die kleinen lästigen Beutelchen mit rumschleppen, die immer so schnell alle sind. In das Fläschchen gehen fünfeinhalb Gramm. Fast eine Tagesration. Ich öffne es mit der rechten Hand, Pulver rieselt auf den Sitz. An der Ampel halte ich an, schütte den Rest aus dem Fläschchen auf den Handrücken. Es ist einigermaßen gut zerkleinert, ich habe eine Koksmühle zuhause. Aber es sind auch Stückchen drin. Die Ampel wird grün. Scheisse. Ich halte den Handrücken unter ein Nasenloch, mit dem Daumen der anderen Hand drücke ich das freie Loch zu, mit der Fingerkuppe des Zeigefingers öffne ich das zur Einfuhr des Koks auserkorene Nasenloch. Ich ziehe hoch. Drin. Ungefähr ein dreiviertel Gramm. Bröckchen, die nicht klein genug waren, fallen wieder aus der Nase. Schnell Nasenloch zuhalten und hochziehen. Baahhh. Super bitter. Aber drin. Jetzt bin ich wieder ganz ruhig. Ich wische mir die Reste mit dem Handrücken von der Nasenumgebung, irgendwo in dem Bereich zwischen Auge und Kinn scheint alles weiß zu sein. Der dunkelbraune Langhaar-Teppichboden vor dem Fahrersitz ist auch weiß, wie ich im diffusen Licht der Innenbeleuchtung erkenne.
Schon wieder eine Ampel, da, wo die Lange Reihe mt einer Linksbiegung in die Kirchenallee übergeht.
Auch rot. Hier muss ich rechts abbiegen. Will ja zur Elbe, Leben nehmen. Zweispurig, hier vor der Ampel. Ich ordne mich rechts ein, blinke artig. Bloß nicht auffallen, sonst werde ich womöglich vorher noch verhaftet.
Die Wagenfenster sind alle offen. Ein Merser-Coupe sieht schön aus, wenn die Fenster offen sind. Keine störenden Rahmen dazwischen.
Es ist eine warme Nacht, August.
Neben mir, auf der Geradeaus-Spur hält ein weißer Kleinwagen. Auch die Fenster auf. Sieht aber nicht so schön aus. Es sind drei jungsche Typen drin. Sie sehen zu mir rüber. Einer lacht. Sie unterhalten sich. Jetzt lachen alle.
Ich gucke weg, gucke wieder hin.
Lachen immer noch.
Über mich etwa?
„Äähh, Alter, Problem oder was?“ frage ich drohend rüber.
Erschrocken guckt der Beifahrer zu mir her. Vielleicht haben sie doch gar nicht über mich gelacht? Warum auch? Vielleicht doch? Der Fahrer sagt laut irgendwas in meine Richtung, aber ich verstehe es nicht.
„Alter, pass mal auf, wenn Du ein Problem hast, können wir das jetzt gleich regeln...!“ rufe ich.
Ich bin einssechsundachtzig groß, wiege zu der Zeit vielleicht noch gerade zweiundsiebzig Kilo und kenne die Figur eines Bodybuilders weniger von meinem Bild im Spiegel als mehr aus dem Fernsehen. Ich hab mich noch nie ernsthaft gehauen.
Jetzt knalle ich den Automatik-Wählhebel auf „P“ und springe aus dem Auto:
„Komm her Du Wichser!“
Das habe ich auch nicht zuhause bei meinen Eltern gelernt.
Die Fahrertür des Kleinwagens geht auch auf. Der Wichser kommt her. Er ist ungefähr doppelt so breit wie ich. Ich zurück ins Auto, mit der Hand greife nach der Pirate-Leder-Reisetasche, tausend Mark, die neben mir auf dem Beifahrersitz liegt. Sofort kriege ich den Revolver zu fassen. Ich habe ihn in der Hand, ehe der Typ um sein Auto rum ist.
Der Hahn klickt.
Metallisch.
Einen ganz kleinen Moment lang ist es totenstill. Dann schreit der Typ irgendwas zu den anderen, dreht sich auf dem Absatz herum. Mein Blick hängt in diesem Sekundenbruchteil felsenfest auf dem gespannten Abzugshahn des Zweiundzwanzigers. Der Zeigefinger meiner rechten Hand bekommt vom Gehirn irgendein unsinniges, wirklich nicht gewolltes Signal. Er verkrampft sich zur Handinnenfläche hin.
Von irgendwoher, von den Häuserwänden ringsum höre ich ein schnell zu mir zurückkommendes Geräusch. Ich nehme es wie in Slow-Motion wahr:
P-ä-ä-ä-n-n-n-g-g-gh!
Es ist mucksmäuschenstill auf der Kreuzung.
Durch mein Gehirn tobt das Echo des Knalls.
Nur unterbewusst nehme ich wahr, wie der Wichser ins Auto springt und mit quietschenden Reifen über die rote Ampel davonjagt, die Fahrertür von seinem Wagen ist noch nicht ganz zu.
Es ist Nacht, weit nach Mitternacht.
Es ist warm. August. Hamburg-St. Georg.
Ich stehe mit einem Fuß auf der Strasse, mit dem anderen im Auto, in der offenen Tür. Der Motor säuselt leise, kaum hörbar vor sich hin. Mercedes.
Die Strasse ist menschen- und autoleer.
Die Ampel auf meiner Fahrspur wird grün.
Ich fahre nicht.
Ich kann nicht.
Ich stehe mitten auf der Strasse, lasse den Revolver, den ich mit beiden Händen halte, langsam, am ausgestreckten Arm sinken.
Mir zittern die Knie.
Ich muss mich auf den Sitz setzen.
Ich hätte gerade beinahe in Paranoia einen Menschen erschossen.
Ohne Grund.
Weil er sich amüsiert hatte.
Über was auch immer.
Vielleicht auch über mich.
Vielleicht auch nicht.
In der Stille summt wieder das Autotelefon.
Konju war einmal mit Nicki zusammen.
Und Nicki hatte in ihrer alten Heimat bei Rostock einen Typen gehabt, mit dem sie mal zusammen war. Vor Konju. Der war wohl so ein kleiner Möchtegern-Zuhälter, keiner von Rang und Namen jedenfalls. Und immer wenn Nicki in ihrer Heimat zu Besuch war, hat sie Konju mit dem Typen betrogen. Der hatte auch manchmal in Hamburg zu tun und hatte Nicki dort immer aufgelauert. Konju war schlau, er ist irgendwann mal dahinter gekommen, dadurch, dass Nicki sich verplappert hatte. Er war völlig fertig, der Arme. Er hatte dieses Mädchen, dem ich davor mal für eine einzige Liebesnacht elf Mill bezahlt hatte, wirklich geliebt. Auf seine - makkedonische - Art; er wollte eine treue Frau, die für ihn sorgte und nur für ihn da war. Das war Nicki leider nicht.
Einmal war er ihr nachgeschlichen, als sie sich in Hamburg heimlich mit dem Typen getroffen hatte, hatte aber nicht eingegriffen, sondern nur Beweise gesammelt. Damit war er dann zu mir gekommen.
„Dick’rr, musstess Du mir mal helfen, Scheisse, pitschka te matria! Diesess alte Schlampe, dass! Betriegt mich mit diesess Arschloch aus Rostock. Habb ich gewusst, doch!“
Und er erzählt mir von seinen Erlebnissen. Ich habe Nicki auch nie so richtig vertraut, aber ich kann solche kleinen Betrügereien nachsehen, ich war das ja von Ines mehr als gewöhnt - im Gegensatz zu Konju. Er war wütend, und wurde immer wütender, je mehr er mir davon erzählte:
„Ab‚rr Dick’rr! Werrd ich zeigen diesses Schlampe. Knalle ich abb, dass!“ Er fuchtelte dabei mit dem Colt-Automatik rum, das war noch vor seiner Verhaftung. „Ich habbe gutess Plann!“ sagte er und unterbreitete mir, was er vor hatte. Wir sollten sie zusammen abholen, unter dem Vorwand, mit ihr essen gehen zu wollen.
Es war dunkel. Wir luden sie ein, sie saß hinten im Merser. Konju rechts, ich bin gefahren. Konju hat mir diesen Platz, an dem ich heute Nacht schlafen wollte, damals gezeigt. Statt zum angegebenen Restaurant fuhr ich auf die Autobahn. Ich merkte, dass Nicki unruhig wurde. Konju begann, Nicki mit seinen Ermittlungen zu konfrontieren. Zuerst nett, lächelnd, alles ein wenig ins Spöttische ziehend.
„Sagg mal, Nicki, hasstest Du eigentlich noch Kontakt mit diesess Typ, wie heisst noch, weisst Du’ss schon, aus Rostock?“ Sein Fragen wurden aber schärfer, bohrender, drohender, als wir in den einsamen Waldweg am Niendorfer Gehege einbogen. Ich bog von der befestigten Strasse damals nach rechts ab, auf den kleinen Weg, bis hierher, vor das Gittertor, hinter dem sich das Wasserwerk - eigentlich mehr ein Brunnen mit Pumpe - der Stadtwerke befindet. Das Gebiet ist menschenleer, war es auch damals, nachts. Nur in der Ferne hörst Du das Rauschen der Autos auf der Autobahn. Ab und zu mal den dumpfen Lärm eines aufsteigenden oder landenden Flugzeugs vom nahen Flughafen. Es war kühl in jener Nacht im Frühjahr.
Ich stellte den Motor ab und machte das Licht aus.
Ich stieg aus. Das hatten wir so verabredet, Konju und ich. Er blieb sitzen, zusammen mit Nicki. Während ich ausstieg, merkte ich, wie er die Automatik aus der Jackentasche holte. Ich ließ die Tür zuklappen und ging langsam zurück bis zur dem kleinen Teerweg, über den wir gekommen waren. Ich hörte manchmal dumpfe Stimmen aus dem Auto, wenn einer der beiden lauter sprach, später schrie. Ich hörte, dass er sie schlug, hörte sie wimmern. Meine Aufgabe war es nur, aufzupassen, das sich niemand näherte. Ich rauchte eine Zigarette, zog danach eine Line vom Handrücken. Wenn Konju was von mir wollte, war er immer spendabel. Nach einiger Zeit wurden sie Stimmen lauter. Konju hatte wohl das Fenster aufgemacht, um mich an dem Gespräch teilnehmen zu lassen, wie ich zuerst dachte. Dann aber schwollen die Stimmen an, ich hörte ihn, dann sie - kreischend, dann wieder ihn.
Dann - ein schriller, dumpfer Knall, verbunden mit einem kurzen Pfiff.
Sie schrie wie am Spieß. Ich fuhr rum, stockte einen ganz kurzen Moment und rannte dann zum Wagen. Nicki lag zusammengesunken auf der Rückbank im Dunkeln des Wagens und wimmerte.
„Alter, was...?“ schrie ich entsetzt Konju an, riss die Lehne des Fahrersitzes vor und wollte mich über Nicki beugen.
„He, Dick‚rr, bleib mal rruhig, ganz rruhig,“ hörte ich Konju beschwichtigend sagen. „Sie hat nix anderss verdient, die Fotze! Will mich betriegen, pah!“ sagte er abfällig. Ich zog erschrocken und panisch meinen Oberkörper aus dem Auto, mein Kopf knallte an den Dachbalken über der Tür.
Konju kam ums Auto rum zu mir, der ich immer noch wie gelähmt in der Tür stand. Er nahm mich beiseite und raunte mir leise ins Ohr:
„Dick’rr,“ und in seinem Gesicht war wieder dieses breite, überlegene Grinsen zu sehen, „… aberr werd ich doch nixx in Knast gehen für dass alte Schlampe, dass! Habb ich bisschen Politik gemacht, bisschen Schreien, bisschen gehauen - nur bisschen Dick’rr! - und bisschen zu Fenster rrauss geballert! Nix passiert, Dick’rr. Warum meinsst Du, habb ich Fenster aufgemacht? Wollte doch nich neuess Scheibe kaufen, ha, ha! Iss sischerlisch teuer für Merser, hahaha!“
Er klopft mir, dem langsam die Farbe wieder ins Gesicht zurückkehrt, auf die Schulter.
„Komm, lasses mal fahren weg hierr, iss besser, nachher komm Schmiere noch, weil habb ich Vögelchen auss Baum abgeschossen oder so was!“ Er lacht wieder. Wir gehen zurück zum Wagen.
„Musst Du’ss machen rrichtig wie Zuhälter, Dick’rr, pitschka te matria, sonsst lernt Schlampe dass nie!“
Nicki lag die ganze Zeit der Rückfahrt auf dem Sitz hinter uns und schluchzte. Sie tat mir leid, wirklich. Wäre Konju jetzt nicht dagewesen, hätte ich sie in den Arm genommen. Aber er war da. Und ich musste jetzt ein Mann sein.
Ein richtiger Zuhälter. Wie Konju. Pitschka te matria!
Penner-Junkie
Fast zwei Monate habe ich im Auto gelebt.
Es war warm, Spätsommer, da kannste draußen schlafen. Ich habe mir immer einen einsamen Feldweg ausgesucht in Hamburg-Nord, meist im Niendorfer Gehege oder auch mal in Fuhlsbüttel. Hier ist viel Gegend, im Hamburger Norden, und ich wollte nicht einem Bauern oder Förster auffallen, der mich vielleicht öfters an der selben Stelle stehen sah. Oft habe ich ganze Tage hier draußen verbracht, nachts wenig geschlafen, weil es spät still wird und früh laut, am Rande der Großstadt. Die Einnahme von Kokain in nun schon kleiner werdenden Mengen tut immerhin noch ihr Übriges und ist nicht grad schlaffördernd. Morgens, wenn ich wach werde, hänge ich so lange rum, sitze im Auto und höre Radio, oder ich mach den UKW-Scanner an und belausche die Bullen, bis ich den Dicken anrufen kann. Er hilft mir immer, aber es wird zunehmend schwieriger. Er will auch mal Kohle sehen, mittlerweile kriegt er fast neunzig Mill von mir. Ich fahre meist mittags oder nachmittags zu ihm, wir sitzen in der Küche und quatschen oder fahren „zu Typen, was wegbringen“. Er hat mir zigmal angeboten, bei ihm zu schlafen, bei seinem Bruder, wo er auch wohnt. Aber das will ich nicht. Ich will nie lästig fallen. Ich bade gelegentlich dort. Und habe Hunger. Immer. Freue mich, wenn’s bei Konju’s Bruder was zu essen gibt. Manchmal schlage ich verlegen aus.
Anbieten tun sie immer.
Sie sind gute Kumpels, wirklich.
Und sehr gastfreundlich.
Diese Nacht kann ich besonders schwer einschlafen. Ich stehe wieder im Niendorfer Gehege, bin bei Dunkelheit rückwärts reingefahren in eine kleine Lichtung, die vom Feldweg abgeht. Irgendwie war es morastig dort, hoffentlich komme ich da morgen früh wieder raus. Aber das seh’ ich mir morgen an, heute ist die Nase mal wieder dicht, da kann man Stress am besten vermeiden. Ich decke mich zu, mit allem was ich habe.
Schichtweise. Es wird langsam kalt nachts.
Erst ziehe ich einen dicken Pulli an, falte Handtücher zusammen und klemme sie zwischen Sitzlehne und Kopfstütze des Fahrersitzes ein - als Nackenrolle. Der ganze Kram, der jetzt noch auf meinen Namen hört, ist ja im Kofferraum. Ich bin ein moderner Penner-Junkie geworden, mit 560ger-Merser-Coupe und Breitling. Ich schlafe unruhig ein, träume Blödsinn - Koksträume.
Nachts wache ich auf. Es ist kalt. Das Wagenfenster, das ich einen Spalt weit offen gelassen habe, mache ich besser zu. Ich drücke auf den Fensterheber, das Fenster geht langsam zu, ganz langsam, die Innenbeleuchtung wird dabei dunkler. Oh Gott, bloß keine leere Batterie hier draußen in der Wildnis, bitte! Auf der Handy- Aufladekarte ist nix mehr drauf, ich kann nicht mal jemanden anrufen. Ich hole noch ein paar große Handtücher aus dem Kofferraum, decke mich damit zu, so gut es eben geht. Noch ein paar Mal wache ich auf, decke mich weiter zu, friere. Die Standheizung kann ich nicht anmachen, dann ist morgen früh die Batterie endgültig leer. Ich nehme noch einen Schluck Stilles Wasser aus der Flasche, dann ist sie leer. Scheisse, morgen muss ich den Dicken wieder nach Kohle fragen. Mir ist das einfach unangenehm. Weil ich weiß, er wird’s nie wiederkriegen. Wovon denn? Trotzdem verspreche ich alles. Ich lege ihm immer wieder irgendwelche Papiere vom Finanzamt vor oder von einem Rechtsanwalt, die beurkunden, dass ich noch jede Menge Geld bekomme. Es dauert eben noch ein wenig, wie die unterstrichenen Daten in diesen Papieren ausweisen. Er kann sie doch nicht lesen, diese Fälschungen, bei denen ich mir Mühe gegeben habe, sie ordentlich und so originalgetreu wie möglich auf dem Computer zu nachzumachen.
‚Meine Mutter hat mir noch eine Eigentumswohnung in Köln vererbt’, ist mir dann noch eingefallen, ‚...die gehört ihr mit einer Freundin zusammen, habe ich erst jetzt erfahren, die wird demnächst verkauft, bringt mir dann auch wieder Hundertzwanzigtausend.’
Ich verspreche und beweise so gut, dass er fest daran glaubt, und schon Pläne macht, was ich oder wir, wenn ich will, mit dem Geld machen werden. In Jugoslawien. Besser gesagt in Makkedonia. In seiner Heimat, in die wir dann wollen. Er – ich wollte dort nie wirklich hin...
Als die Sonne aufgeht und die wärmenden Strahlen durch die Windschutzscheibe schickt, wache ich kurz auf, schlafe wieder ein. Jetzt wird es schön warm.
Gegen siebenuhrdreissig werde ich durch lautes Klopfen ans Auto jäh geweckt.
Augen auf, ich erkennen nichts, Kontaktlinsen sind raus, nach der Brille tasten.
Ich erkennen zwei Figuren, ein Auto steht vor meinem.
Als ich die Brille endlich aufhabe, sehe ich klar - die Schmiere!
Und ich mit gefälschten Auto-Papieren und Phantasie-Nummernschildern, weil ich die Versicherung seit ewigen Zeiten ncht bezahlt habe, nicht habe bezahlen können, von welchem Geld denn auch.
„Moin, moin, alles klar bei Ihnen?“ der Schmiermichel klopft freundlich an die Scheibe. „Machen Se mal auf, mal sehen ob Se noch leben.“
Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen, mache die Tür auf.
„Moin, jooh alles klar bei mir soweit, was’n los?“
„Ja, ein besorgter Mitbürger hat uns angerufen, er hat das Auto gesehen, versuchte sie zu wecken und es ist nichts passiert. Er rief uns an und sagte, im Wald steht ein Wagen mit einer Leiche drin. Aber Sie sehen ja noch recht lebendig aus! Dann mal die Wagenpapiere und den Führerschein bitte. Ist das Ihr Wagen? Wieso hat der eine niederländische Nummer?“
„Ja, meiner, ich wohne in Holland, gestern ein bisschen viel gefeiert und wollte erst mal schlafen“, log ich.
Der andere Beamte geht um den Wagen rum, kontrolliert die Kennzeichen mit wichtigen Blick und gibt mir die Papiere zurück.
„Na, dann gute Weiterfahrt, noch. Auf Wiedersehen!“
Noch halb verschlafen, halb vor Schreck gelähmt komme ich langsam zu mir. Sie sind weg! Nichts passiert! Mal wieder Glück gehabt.Glück mit Geld hatte ich noch nier. Aber Glück im Leben. Glück mit Situationen wie diesen. Ganz oft.
Wenn ich in der Stadt war - dabei war für mich der Kiez die Stadt - und ich keinen Sprit mehr hatte, musste es auch der Hafen zum Übernachten tun.
Richtung Elbstrand hatte ich einen kleinen Fleck entdeckt, auf dem höher gelegen öfters Wohncamper standen. Es war direkt an der Elbe, neben mir Hafenschlepper und andere Kähne.
Es riecht nach Diesel, eigentlich mehr nach Petroleum, wenn Du den Geruchsunterschied kennst. Auf dem Elbwasser schwimmen ölige Flecken der Kutter, ein bisschen Fischgeruch bemerke ich auch. Es ist kalt in jener Nacht, eigentlich keine Zeit mehr, um im Auto zu schlafen. Wieder hülle ich mich in alles, was zu finden ist. Es ist Ende August, es regnet und ist bitterkalt. Mehrmals in der Nacht schalte ich die Standheizung ein, die immer nur für eine Stunde läuft. Ich wache auf, ein trüb-nebliger Morgen. Kein Koks mehr da. Alle. Geld sowieso nicht. Muss zu Konju, hilft alles nichts. Ich gehe ums Auto rum, mache ein paar Kniebeugen um den Kreislauf anzukurbeln und die vom Schlaf und der kriechenden Kälte lahmen Glieder zu aktivieren. Neben mir, im Hafenbecken, tutet ein Schlepper, der sich zwischen die anderen an der Kaimauer drängelt. Leben erwacht. Ich will los, Heizung anmachen, es ist wirklich kalt und feucht hier draußen. Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss rum. Der automatische Gurtbringer bringt leise summend den Gurt vom B-Holm hinter der Wagentür in meine Richtung, stoppt mitten auf seinem Weg. Nanu? Drehe den Schlüssel noch mal, jetzt macht der Gurtbringer gar nichts mehr. Im Armaturenbrett leuchten müde ein paar Lämpchen und verlöschen, als ich den Schlüssel in Start-Position drehe. Die Batterie ist endgültig leer. Ich könnte Konju anrufen, aber ich will nicht, dass er sieht, das ich hier draußen schlafe. Ich habe ihm gesagt, ich wohne die nächsten paar Tage im Hotel.
Ich habe noch zwanzig Mücken in der Tasche, davon wollte ich eigentlich was zu essen kaufen. Und zu trinken. Ich habe Durst.
Ich rufe ein Taxi an, mir Starthilfe zu geben. Und futsch sind die zwanzig Mark.
So geht es nicht weiter.
Ich telefoniere mit Ela. „Kann ich bei Dir schlafen?“ Ich kann.
‚Komm erstmal her,’sagt sie. Ich fahre hin. Sie hat mir schon oft angeboten, bei ihr zu schlafen. Ich habe immer ausgeschlagen. Ich will doch niemand lästig fallen. Ich bin wie meine Mutter.
Ela wohnt im Krankenhaus. Lustig eigentlich. Als ich das erste mal hinfuhr, konnte ich mir nichts darunter vorstellen.
Elas Wohnung - Es geschah am 2.9.1999
Es ist ein Krankenhauskomplex in Buchholz in der Nordheide, so zwanzig Kilometer von Hamburg weg, Richtung Bremen. Auf dem Komplex stehen auch Wohnhäuser mit kleinen Appartements für Schwestern und Ärzte.
Das Haus in dem Ela wohnt, liegt in einer Art Park, der zum Krankenhaus gehört, an einem Hang, es ist ganz ruhig hier, wie im Urlaub. So kommt es mir immer vor, wenn ich dort bin, gar nicht wie in einem Krankenhaus.
Ich bin gern bei Ela.
Ich fühle mich geborgen, umsorgt und verstanden bei ihr.
Sie sagt mir ihre Meinung, auch wenn das nicht immer meine ist. Und das finde ich gut so. Das liebe und schätze ich an ihr.
Im Haus geht, wenn man durch die Haustür gekommen ist, in das zweite Kellergeschoss, also nach unten, und wenn man in der Wohnung ist, ist man trotzdem in der ersten Etage und hat einen Balkon. Merkwürdig. Eine wundersame Wohnung. Das erzähle ich jedem, der Ela kennt.
Ela hat anderthalb Zimmer, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, wobei das Schlafzimmer das Halbe ist, obwohl es recht groß ist. Das Wohnzimmer ist ganz in blau und schwarz eingerichtet, sehr liebevoll, eben Ela. Sie packt gerade ihre Sachen, als ich komme.
Ela zieht aus!
„Du kannst hier wohnen, ganz allein, dann hast Du Deine Ruhe.“ Aber das will ich nicht! Sie soll nicht wegen mir ausziehen!
Von Nico, ihrem neuen Freund, hat sie schon öfters erzählt. Jetzt sagt sie mir, sie will erst mal probehalber zu ihm ziehen und später wohl die Wohnung aufgeben und ganz bei Nico wohnen. Sie tut und sagt immer alles mögliche, um es mir leicht zu machen, weil sie weiß, dass mir die Situation unangenehm ist.
Ich habe alles, was ich brauche. Ela hat mir einen vollen Kühlschrank überlassen. „Das ist alles sowieso noch da, nimm dir, was du magst!“ hatte sie gesagt. Glaube ich nicht, Ela! Du hast extra eingekauft für mich. Weil vieles, was jetzt im Kühlschrank ist, magst du gar nicht. Aber ich. Und dass wusstest du. Aber es ist gut, denn ich habe keinen Pfennig. „Geld kann ich Dir nicht geben, ich hab selber nicht viel, aber Du kannst alles essen, was Du findest, wird doch nur schlecht sonst.“
Ich küsse sie zum Abschied. Wir küssen uns immer, auf den Mund, schmusen viel miteinander und kuscheln. Sie ist ein idealer Mensch, der idealste, glaube ich, den ich je kennen gelernt habe.
Ela geht und ich bin allein.
Es ist schönes Wetter während dieser Zeit, die letzten warmen Tage im Spätsommer.
Ich bin allein, kann selten nach Hamburg fahren, weil ich kein Geld habe. Ich beginne, Zigarettenstummel zu sammeln. Auch die aus dem Autoascher. Aus Elas riesiger Spar-Flasche, die wohl mal eine Drei-Liter-Durjardin-Flasche gewesen sein musste, klaue ich schweren Herzens ein paar Groschen. Sorry, Ela! Ich gehe zum Supermarkt gleich beim Krankenhaus. Ich kaufe irgend was Billiges, was satt macht und ein paar Blättchen zum Zigarettendrehen, aus den Kippen.
Es geht. Auch mit ganz wenig Geld kann man überleben.
Tage ohne Koks und richtiges Essen.
Wasser kann man trinken, nicht nur zum Abspülen oder fürs Klo gebrauchen. Das hat mein Vater mir schon früh gelehrt. Verdursten tue ich also nicht.
Und die Zigarettenstummel geben noch ein paar einigermaßen ordentliche Zigaretten. Wenn auch mit etwas ekligem Beigeschmack, da sich in den letzten Resten der einstigen Zigaretten Speichel, kalter Rauch und Asche vom Ausdrücken sammeln. Das rauchst Du dann mit. Weil Du nichts anders hast. Nichts hast. Nichts mehr.
Ich bin stark depressiv. Kaum mehr Koks. Kokain macht nicht körperlich abhängig. Nur seelisch. Stark seelisch. Ohne Geld kann ich nicht zu Konju fahren, um Koks zu besorgen. Bis Hamburg sind es rund dreißig Kilometer. Er kann auch nicht herkommen. Es kommt auch sonst keiner her. Ich hänge tagsüber vor dem Fernseher, gehe auf dem Krankenhausgelände spazieren. Entzug. Nachts heule ich. Will nicht mehr. Kann auch nicht mehr. Alles, über das ich nachdenke und was mit Zukunft zu tun hat, macht keinen Sinn mehr. Alles ist verloren, weg, und selbst wenn ich in der Lage wäre, irgendwo zu arbeiten, würde alles für die Schulden bei Konju draufgehen.
Es macht keinen Sinn mehr.
Ich tue es. Heute.
Heute Nacht.
Am zwoten neunten Neunzehnneunundneunzig nachts gegen dreiundzwanzig Uhr hole ich den Revolver aus meiner edlen Pirate-Lederreisetasche, tausend Mark.
Am Nachmittag hatte ich mir einen Platz ausgesucht, ganz in der Nähe von Elas Haus, auf dem Krankenhausgelände.
Es ist jetzt dunkel draußen.
Ich sitze still auf Elas Sofa, auf dem ich schlafe, esse, liege und sitze. So sitze ich auch jetzt da. Ich lade den Revolver. Ganz langsam.
Eine Kammer laden, eine Kammer leer lassen, eine Kammer laden. Er hat sechs Kammern. Ich kann mir immer noch aussuchen, ob ich es auf die russische Art mache oder ob ich gleich eine volle Kammer nehme.
Während des Ladens heule ich.
Ich habe den ganzen Tag geheult.
Auch, als ich Ela den Abschiedsbrief geschrieben habe.: ‚... Verkauft das Auto, es ist alles, was ich noch habe. ... Macht eine Party von dem Geld, mit „allem“ was dazugehört, eine, auf der alle fröhlich sind, so wie ich es am liebsten war...’
Ich heule auch jetzt, wenn ich dies schreibe.
Ich sitze da und heule. Ich habe keine Kraft mehr rauszugehen, um Elas Polster zu schonen. Ela wird’s verstehen. Sie will sowieso ausziehen.
Eigentlich interessiert mich das auch nicht mehr.
Es ist still.
Draußen zwitschern noch die letzten Vögel der Sommers. Ich gehe in die Küche, unter der Spüle habe ich letztens Plastiktüten gesehen, wie man sie zum Einkaufen nimmt. Ich suche in dem Karton herum, finde ein Rolle mit blauen Abfallsäcken. Ich reiße bedächtig einen ab, dann noch einen. Die Rolle lege ich wieder sorgfältig in den Schrank, mache die Tür zu. Mir fällt auf, das noch Abwasch im Spülbecken steht. Wie in Slowmotion falte ich die beiden Plastiksäcke ordentlich zusammen und lege sie auf den Wohnzimmertisch. Ich gehe wieder in die Küche. Eben noch die drei Teller, die Tasse und das Glas abwaschen, und das Besteck, dass noch benutzt herumliegt. Ich kann Elas Wohnung doch nicht so unordentlich hinterlassen. Was sollen denn die Nachbarn denken…
Mit dem Abwaschlappen fege ich auch noch über den Tisch im Wohnzimmer, den vor der Couch.
Ich mache die Balkontür zu vom Wohnzimmer, lassen sie Rollos herunter, die von innen am Fenster hängen. Sie passen hübsch zu Elas Einrichtung, blau und schwarz.
Ich nehme die beiden ordentlich zusammengefaltete Plastiksäcke vom Tisch, breite sie auf der Couch aus. Einen auf der Lehne und einen darunter, auf dem Sitz. Die Couch steht in einer Ecke. Ich habe eine Rolle Klebefilm in der Küche gesehen. Die hole ich, und noch eine Plastiktüte aus dem Unterschrank der Spüle. Diese Tüte klebe ich an die Ecke, neben der die Couch steht, an die Wand. Im Film habe ich mal gesehen, dass es spritzt…
Ich möchte nicht, dass Ela die Wohnung renovieren muss, mit meinen Überbleibseln an der Tapete. Mein Hemd ist nass, vom Hals abwärts bis hin zum Bauch. Nass vom ständigen Heulen. Ich habe sicherlich ein paar Liter Wasser verloren. Heulen kostet Kraft. Aber ich werde ruhiger dadurch. Ich lege mich auf die Couch, mit dem Kopf auf die zuvor säuberlich abgedeckte Armlehne.
Ich starre an die Decke. Endlos erscheinende Zeit vergeht wie im Fluge.
Ich nehme den Revolver in die Hand, drehe mit der anderen die Trommel.
‚Rrrrrrr…’ macht sie und bleibt irgendwo stehen.
Es knackt ein wenig, als ich den Hahn nach hinten ziehe. Mit einem metallischen Klicken rastet er ein. Das selbe metallische Klicken wie damals auf der Kreuzung. Ich weiß nicht, ob die Kammer, über der der Hahn steht, leer oder voll ist.
Endlose Zeit später schiebe ich den Revolver in den Mund.
Das Metall fühlt sich hart und kalt an, am Gaumen. Ich rieche das Waffenöl, mit dem der Revolver leicht eingeschmiert ist. Das Öl schmecke ich auch af der Zunge.
Ich heule, versuche es zu unterdrücken.
Aber es geht nicht.
Die Tränen schießen mir die Wangen hinunter.
Ich kann sonst nie heulen. Das letzte Mal bei Mutters Tod. Aber auch ohne Tränen.
Es ist so schön hier, bei Ela.
Warum musste denn alles so kommen. Ich habe immer gesagt: „...egal, wenn die Kohle weg ist, knall’ ich mich ab“. Das hab’ ich mir gesagt.
Nie den anderen. Und jetzt ist es soweit. Jetzt ist die Kohle weg.
Mein rechter Zeigefinger schiebt sich langsam, zitternd, durch den halbrunden Bügel, der den Abzug umgibt.
Mit geschlossenen Augen ziehe ich den Zeigefinger, der den Abzugshebel umschliesst, langsam, ganz langsam zur Handinnenfläche hin. Erst geht es ganz leicht, die ersten paar Millimeter. Dann spüre ich einen Widerstand. Der sogenannte Druckpunkt. Während ich den Abzug über diesen Punkt ziehe, reisse ich die Augen auf. Jetzt ist es zu spät! Kein Zurück mehr! Panisch versche ich, den Revolver aus dem Mund zu reissen, schneller, als der Hahn auf das Zündhütchen in der Patrone schlagen kann. Die Kimme auf dem Lauf schlägt hart gegen die oberen Schneidezähne, beim Versuch, das Ding aus dem Mund zu kriegen. Es klappt nicht. Das alles dauert den Bruchteil einer Sekunde. In Zeitlupe sehe ich, wie der Hahn richtung Trommel schnellt. Er schnellt nicht. Er braucht Stunden, um anzukommen.
Klick.
Ich breche heulend auf der Couch zusammen, nehme dabei den Lauf wieder aus dem Mund. Ich liege im Dunkeln auf Elas Couch und heule. Jetzt ohne Tränen. Mir ist kalt, ich zittere. Es kann auch der Schock gewesen sein. Das Entsetzen darüber, was ich gerade gemacht habe.
Später, gegen zwei Uhr morgens, komme ich einigermaßen zu mir.
Immer noch bin ich nicht sicher, es nicht doch noch mal tun zu wollen, als ich den Revolver weglege. Die leere Kammer war das Schicksal. Es hat sich für mich und nicht gegen mich entschieden.
Dies ist mein zweiter, zweifelhafter Geburtstag.
Am zwoten neunten Neunzehnhundertneunundneunzig. In Elas Wohnung.
Ein neues Leben, das sich zunächst nicht großartig vom alten unterscheiden wird. Ein neues Leben, das ich ohne Kraft beginne. Und mit Hunger.
Ich schicke Ela und Ulla SMS’s per Handy, sie arbeiten beide heute abend im Girlie’s. Ich schreibe, was passiert ist. Sie schreiben zurück, sind besorgt. Später erfahre ich, das Ursel es allen im Laden erzählt hat, was ich nicht wollte, aber es war gut so.
Noch viel später hat Helge, der Kellner, mit mir darüber gesprochen. Helge - wir konnten uns beide früher nicht leiden.
Und alle haben mitgefühlt, waren bewegt.
Das hatte ich nicht erwartet.
Ich habe wieder gemailt, ‚...kommt bitte vorbei, und bringt Koks mit, fünf bis zehn Gramm. Ich will meinen neuen Geburtstag feiern, ich will wieder leben.’
Sie schreiben zurück, ‚... nein, kein Koks, wir kommen nicht. Beruhige dich erst mal, morgen sehen wir weiter.’
Ich verstehe es nicht! Ein zweites Mal will ich mir das Leben nehmen. Am gleichen Tage. Meine besten Freunde kommen nicht!
Viel später erfahre ich, das sie feiern waren. Bei Helge.
Mit vollen Nasen.
Meine besten Freunde. Hätte ich es damals doch noch einmal probieren sollen?
Es war der schlimmste Tag meines Lebens. So kurz nach dem schönsten, dem mit Nadine und Ines.
Ein Geburtstag sollte eigentlich ein schöner Tag sein.
Am zweiten neunten in diesem Jahr - meinem ersten Geburtstag - werde ich mir in aller Stille das erste Mal wieder ein paar Gramm kaufen und sie mir durch den Kopf gehen lassen. Ich werde zurückdenken - an meinen Kummer und Schmerz, an den Hunger, den ich hatte. Daran, dass meine besten Freunde nicht für mich da waren.
Im Gegenteil - Party gemacht haben. Und ich werde heulen dabei.
Und ziehen.
Fonssie
Fons war in seinem ersten Leben mal Taxifahrer in Amsterdam gewesen. Wenn wir für die Firma irgendwohin fuhren, fuhr er meistens. Er hatte einen alten, verbeulten weissen Renault, der wenig gepflegt aber viel geliebt wurde. Fons pries während der Fahrten den Fahrkomfort, das Platzangebot und die bequemen Sitze des alten TX.
Um meine Ortskenntnis in Amsterdam zu fördern fragte er mich, wenn wir losfuhren immer: ”En - weet jij, hoe we daar naartoe komen?” – und -weisst Du wie wir da hin kommen? Ich beschrieb ihm die Strecke, die ich mir vorstellte oder gar kannte. Er fuhr immer anders. Durch winzige Seitenstrassen, über winzige Brücken, die die ein oder andere Gracht überspannten und von denen ich nicht mal gedacht hatte, dass sie für Autos zugelassen sind, geschweige denn, ich mich getraut hätte, mit dem Auto drüber zu fahren, weil sie entweder so schmal waren oder so instabil aussahen. Ehrlich gesagt hatte ich später beim Überfahren solcher Brücken auch schon mal das Schild gesehen, rund, mit weissem Grund und rot umrandet, das sein Auto abbildete – für Autos verboten! Diese Schleichwege dauerten meistens nur die Hälfte der Zeit, die ich für die von mir geplanten Routen gebraucht hätte.
In seinem vorherigen Beruf als Taxifahrer hatte sich Fons einen Haufen “Überlebensstratiegien”, wie er das nannte, angeeignet. So auch die Eigenschaft, während der Fahrt Zigaretten zu drehen. Denn er rauchte nur selbstgedrehte, “Shag”, wie man in Holland sagt.
Mit sechzig gehts über die schmale, kopfsteingepflasterte Strasse, einspurig, in der Mitte eine Gracht, auf der anderen Seite der Gracht die Gegenfahrbahn. Ganz Amsterdam ist durchzogen von diesen Grachten, die zweimal im Jahr mir speziellen Booten, auf denen eine Art grosser Rechen installiert ist, leergebaggert werden. Zum Vorschein kommen überwiegend Fahrräder, Einkaufswagen, Rollatoren und ab und zu mal eine Leiche.
Während Fons mir das erzählt, kommt mir der Film “Amsterdamned” vom holländischen Regisseur Dick Maas in den Sinn, wo ein von Gift verunstalteter Mann im Taucheranzug in den Grachten von Amsterdam sein Unwesen treibt und Menschen mordet.
Neben unserer schmalen Fahrspur, zur Gracht hin, parken Autos, wenn Du an der der Gracht zugewandten Seite dann nach dem Parken aus dem Auto steigst und nicht aufpasst, stolperst Du über die circa zwanzig Zentimeter hohe Reling, die verhindern soll, dass das Auto beim Parken in der Gracht landet, und fällst kopfüber in selbige. Passiert Touristen oft genug, wie man im holländischen Fernsehen sieht, wenn der Moderator wieder mal schmunzelnd über einen “Duitser”, einen Deutschen berichtet, der in der Dunkelheit bei eben diesem zuvor beschriebenen Manöver ein unfreiwilliges Bad genommen hat.
Alle dreihundert Meter kommt eine Auffahrt zu einer kleinen Brücke, die die Gracht überspannt, da steigt die kopfsteingepflasterte Strasse dann ziemlich an, um gleich nach der Auffahrt wieder abzufallen.
Fons bremst ruckartig vor dem Hindernis, rast aber immerhin noch mit vierzig Sachen darüber hinweg. Mein Gesäss hebt kurz vom Sitz ab und bewegt sich, zusammen mit dem Inhalt meines gerade beim original marrokanisch-holländischen Italiener befüllten Magens richtung Fahrzeughimmel, um kurz vor dem Crash mit selbigem sich wieder in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Das Essen bleibt gerade noch so drin.
Vor der nächsten Brücke denke ich, auf alles gefasst zu sein. Als Hintern und Magen gerade wieder einmal den Scheitelpunkt des Fluges glauben erreicht zu haben und ich mich instinktiv damit auseinandersetze, dass beide jetzt gleich zum Rückflug ansetzen werden, bekommt die nun als bekannt geglaubte Situation eine überraschende Wendung – Fons machte eine Vollbremsung, Arsch und Futterkammer wissen nun gerade nicht so genau, wohin und verharren eine Sekunde lang in der Schwebe, als Fons das Steuer ruckartig nach links reisst und Hintern inklusive Pizza im gerade ansetzenden Vorwärtsdrift nun ruckartig von der Fliehkraft nach rechts gerissen werden. Fons tritt aufs Gas um dem altersschwachen Renault die Sporen für seine –wie es scheint – letzte Reise zu geben und auf der schwächlichen Holzbrücke rasant beschleunigt. Ich sehe die Balustrade der Brücke, gegen die ich mich nicht mal als Fussgänger gelehnt hätte, auf die Motorhaube zurasen, als mein Allerwertester, gefolgt durch den Pizza-Brei, unsanft auf die vielgepriesenen Renault-Polster aufsetzen. Für einen Moment scheinen alle vier Räder des TX in der Luft zu schweben, als auch schon die andere Seite der zarten Brücke erreicht ist. Im Rückspiegel sehe ich noch das hölzerne Geländerchen der Brücke erzittern, als Fons nun das Steuer erneut nach links reisst, wieder Vollbremsung, denn diesmal parken die Autos auf der der Gracht abgewandten Seite, direkt an den Häusern. Der Aussenspiegel, den ich gerade noch im Blick hatte, schlägt mit einem lauten Knall gegen die rechte Beifahrerscheibe um gleich darauf wieder zurück zu federn. “Kut!!!” – Scheisse, entfährt es Fons. “Was parken die da auch so dämlich, sieht man ja gar nicht hinter der Brücke!’, schmimpft er und grinst zu mir rüber.
Nö, sieht man nicht, wenn man mit vierzig über ne Brücke heizt, die für Autos gesperrt ist….
Fons fährt nur mit einer, der rechten, Hand, wie mir jetzt auffällt. Die linke kramt in der Tasche seiner alten, etwas speckigen schwarzen Lederjacke und nestelt einen Beutel Shag heraus, die rechte Hand nun auch noch weg vom Lenker, denn er muss schalten. Das Auto lenkt nun sein treuer Beifahrer – das rechte Knie! Mit der linken Hand fummelt er die Blättchen aus dem Shag-Beutel, zieht gekonnt eines heraus und hält es zwischen Daumen und Zeigefinger, den Beutel eingeklemmt zwischen kleinem Finger und Handballen. Die rechte Hand lenkt Gott sei Dank nun wieder. Das Blättchen wandert über Zeigefinger, Mittelfinger nun zum Ringfinger, wo er es zwischen Ringfinger und kleinem Finger, der auf seiner Unterseite noch immer den Tabakbeutel hält, denn Mittelfinger und Daumen braucht er nun, um Tabak aus dem Beutel zu angeln, den er gleich darauf auf das über Ring- und Mittelfinger zurück wandernde Blättchen verteilt. Den Shag-Beutel immer noch eingeklemmt, rollt er mit den noch übrigen Fingern eine Zigartette, die so gleichmässig ist, dass sie aus dem Automaten hätte kommen können und leckt die Klebeseite des Blättchens an. Vollbremsung!, weil eine Gruppe von Radfahren den Weg kreuzt, um über eine Brücke, vor der ein Schild “Radfahrer verboten” steht, zu überqueren. “Kut!!!”. Während bei diesem Mannöver mein Oberkörper richtung Windschuztscheibe katapultiert wird, in der ich in diesem Moment zum ersten Mal einen grossen Sprung erkenne, den vielleicht ein Beifahrer-Vorgänger von mir verursacht haben könnte, klebt Fons die angeleckte Zigarette mit den Fingern der linken Hand zu. Der Beutel verschwindet wieder in der Jackentasche, und auf dem Rückweg bringen die Hände gleich ein Zippo mit, dass bereits brennt, als es aus der Tasche kommt.
Genüsslich zieht Fons einen kräftigen Zug aus der soeben unter abenteuerlichen Umständen gedrehten Zigarette. “We zijn d’r!” – Wir sind da, sagt er grinsend und parkt rückwärts in eine viel zu kleine Parklücke ein, nicht ohne den Hintermann erheblich anzustossen. “Nen Renault parkt man nicht, den stellt man ab”, sagt Fons.
Ich habe das mit dem einhändigen Drehen oft genug versucht, zum Glück ist nie ein anderer Verkehrsteilnehmer dabei ernsthaft zu Schaden gekommen, auch wenn ich meine Fahrtüchtigkeit in diesen Momenten nicht als hundertprozentig bezeichnen kann. Geschafft habe ich es nie.
